Die geschaffenen Werte – ein Märchen von der Börse
11. März 2009 von Friedrich Müller-Reißmann
Der Dachs legte die Zeitung aus der Pfote und schüttelte ärgerlich den Kopf: „Die Leute regen sich über Dinge auf, von denen sie nichts verstehen, ja, wirklich. Erinnerst du dich an die Sache mit diesem Konzern, Dachsesdachs, den ein anderer schlucken wollte? ‚Feindliche Übernahme’ nennt man so was, das wollte der Chef von Dachsesdachs, der Fresser, natürlich nicht, denn so einer, wie der Name schon sagt, verspeist lieber andere, als selber verspeist zu werden. Aber schließlich hat er doch mitgemacht und dafür 30 Millionen als Lohnfortzahlung und Abfindung erhalten. ‚Schweinerei’, haben da gleich alle geschrieen, ‚Unmoralisch!’, ‚Wofür kriegt der das viele Geld?’, ‚Dafür müsste ein Normalverdiener 1000 Jahre arbeiten‘. Diese Kläffer täten besser daran, nachzudenken und erst mal einen Blick auf die Aktienkurse zu werfen. Um 14 Milliarden sind die durch diesen Mann gestiegen. Um so was zu schaffen, müsste ein normaler Dachs 500.000 Jahre arbeiten! Ja, ihr Nasen, der Mann hat Werte geschaffen, versteht ihr, Werte, 14 Mil-li-arden – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Was sind dagegen 30 Millionen? Gerade mal 2 Promille. Und jetzt haben diese Moralapostel und Gutdachse ein Gerichtsverfahren angezettelt und wollen einem Leistungsträger, der solche Werte schafft, ans Fell. So was gibt`s natürlich nur in Dachsland, wo einfach keine Aktienkultur herrscht. In anderen Ländern hätte so ein Topmanager das Doppelte oder wenn nicht gar das Dreifache bekommen und wäre obendrein ‚Liberaler Held des Jahres’ geworden“.
Die Dächsin, die das ständige Gerede vom Dachs satt hatte, seufzte und sagte mechanisch: „Ja, ja, das ist wohl wahr“.
Der Dachs wurde noch ärgerlicher: „Du hast gar nicht kapiert, um was es hier geht“.
„Ja“, gab sie zu, „das ist für eine Frau wie mich alles so abstrakt“. Sichtlich gerührt von so viel Bewunderung wurde seine Stimme so weich wie sein Fell.
„Ich werde es dir an einem ganz einfachen Beispiel erklären“, sagte er. „Stell dir vor, wir wollen unseren alten Bau verkaufen“.
„Wirklich, das hast du vor, Schatz? Das wäre wunderbar, ein Traumhaus in bester Lage!“, strahlte die Dächsin.
„Nein, nein, nicht doch, wir stellen uns nur mal vor, wir wollten es verkaufen. Und wir wollen natürlich einen möglichst hohen Verkaufspreis erzielen. Wie machen wir das? Es gibt zwei Möglichkeiten. Die erste wäre, ich grabe ein paar neue Gänge, vergrößere die Stuben, stütze die Decken besser ab, verbessere die Wärmedämmung, und zum Schluss machst du alles schön sauber. Das bedeutet natürlich schweißtreibende Arbeit, und wenn wir Glück haben, bekommen wir 20 oder 30% mehr für unseren Bau“. Er machte eine Pause: „Es gibt aber eine viel bessere Strategie“.
„Und welche?“, die Dächsin war neugierig geworden.
„Wir lassen durch glaubwürdige Freunde überall erzählen, dass unser Gebiet zum Spitzengebiet erklärt würde und Grundstücke hier bereits heute grundsätzlich nur an Dachse mit bester Reputation verkauft werden. Du, wirst sehen, wie schnell die Nachfrage steigt. Wenn es gut läuft, können wir unseren Bau dann zum doppelten oder wenn nicht gar zum dreifachen Preis verkaufen“. Und er schloss mit den Worten: „So wie wir hier im Kleinen Werte geschaffen haben, so geschieht das an der Börse im Großen“.
„Ja, aber“, wagte die Dächsin einzuwenden, „wenn das dann mit dem Spitzengebiet nichts wird, dann sitzen die auf ihren teuer bezahlten Grundstücken und möchten sie gern wieder loswerden, aber sie bekommen nur noch die Hälfte oder wenn nicht gar nur noch ein Drittel dafür. Wo sind denn die geschaffenen Werte dann hin? Einfach futsch? In Luft aufgelöst?“.
Der Dachs kratzte sich hinter den Ohren, doch dann erhellte sich seine Miene wieder: „Ach was“, meinte er, „dazu wird es nicht kommen. Alle, die so ein Grundstück besitzen, halten ihre Nachbarn für etwas Besseres und fühlen sich durch sie aufgewertet. So schaffen sie automatisch das Spitzengebiet selbst, und sie werden nicht mehr weg wollen. Höchstens wenn sie ihren Bau zu einem noch höheren Preis verkaufen können, und das können sie, denn es wird genug Leute geben, die auch in diesem Spitzengebiet wohnen wollen. So wachsen und wachsen die Werte unaufhörlich“.
*
„So ein Blödsinn“, der Börsenmakler warf das Märchenbuch, aus dem er gerade seinen beiden kleinen Töchtern, Megakids selbstredend, vorgelesen hatte, auf den Tisch. „Der entscheidende Punkt ist hier völlig übersehen“, sprach er mehr zu sich selbst. „Ja, das stimmt schon, wenn so ein Gebiet aus irgendeinem Grund attraktiv wird, dann steigen dort die Preise. Und der Grund kann eine Luftnummer sein. Aber dabei bleibt es ja nicht. Die Leute würden anfangen, dort schöne Häuser zu bauen, eine entsprechende Infrastruktur zu errichten, prächtige Gärten anzulegen usw. Am Ende wäre doch ein Spitzengebiet entstanden und echte, reale Werte geschaffen“.
„Schön und gut“, ließ sich seine Frau vernehmen, die beim Bügeln mit einem halben Ohr mitgehört hatte, „was ist aber, wenn irgendwo ein neues und viel attraktiveres Spitzengebiet hochgezogen wird, und jeder, der was auf sich hält, will aus dem alten Gebiet weg? Dann stehen da zwar noch die schönen Häuser, aber sie sind nur noch die Hälfte oder wenn nicht gar nur noch ein Drittel wert. Wo sind denn dann die geschaffenen Werte hin? Einfach futsch? In Luft aufgelöst?“.
Merke: An der Börse entstehen so wenig Werte wie in einer Gerüchteküche genießbare Speisen. An der Börse, in Spielcasinos, Wettbüros usw. werden weder Werte geschaffen noch vernichtet. Werte werden immer nur durch Arbeit geschaffen und durch Krieg, mutwillige Zerstörung, Firmenbankrotte, Unfälle, Schlendrian, Vergeudung, eingebauten Verschleiß, falschen Gebrauch, Mode usw. (vorzeitig) vernichtet.