Sirenenklänge
8. November 2014 von Friedrich Müller-Reißmann
Sirenenklänge
“Wenn du den Frieden willst, rüste zum Krieg“, sagten die alten Römer. Die Philosophie dahinter: Die anderen müssen Angst vor dir haben, dann tut dir keiner was. Dieses Argument der „Abschreckung“ dient bis heute der Rechtfertigung der (Hoch) Rüstung. Die Geschichte zeigt aber auch überdeutlich, dass der Hochgerüstete sich selten mit dem Schutz zufrieden gibt, den seine Waffen versprechen, sondern diese dazu nutzt, sich Vorteile auf Kosten der weniger „Wehrfähigen“ zu verschaffen. Doch das wird von den Machthabern und Regierungen selten offen ausgesprochen; man bekommt fast immer nur das Gerede von der (nationalen) Sicherheit zu hören: „Lieb Vaterland, magst ruhig sein“. Der römische Philosoph Seneca meinte: „Schlimmer als der Krieg ist die Furcht vor dem Krieg“. Wenn wir uns vor dem Krieg fürchten, werden die anderen mit uns machen können, was sie wollen, und ihre Ziele gegen uns durchsetzen. Wenn wir das nicht wollen, müssen wir Krieg führen. „Und setzet ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das Leben gewonnen sein“ dichtete Schiller im „Wallenstein“ und an anderer Stelle: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“. Obwohl die „Realisten“ mit dem Idealismus eines Friedrich Schiller wenig anfangen können, dieses Zitat greifen sie gern auf. Die Vorstellung, sagt der „Realist“, sich in dieser Welt aus allen kriegerischen Handlungen und Gewaltanwendungen heraushalten zu können, ist eine blauäugige Illusion. „Der Mensch ist böse von Jugend an“ steht schon in der Bibel (Gen 28,1). Die Welt ist nun mal voller „böser Nachbarn“. Ein friedliches Zusammenleben der Völker ist eine schöner Wunschtraum. Wer da glaubt, durchzukommen, ohne „mit den Wölfen zu heulen“, ist nicht nur naiv, sondern sträflich leichtsinnig „Unter Schuften ehrlich zu bleiben, ist sehr gefährlich“, sagte Friedrich II. von Preußen, als er 1740 in Schlesien einfiel. Und bei Brecht heißt es: „Wir wären gut, anstatt so roh, doch die Verhältnisse, sie sind nicht so“. Ich nenne solche wohlmeinenden Stimmen, die sich in unser Hirn einschmeicheln, „Sirenenklänge“. Selbst überzeugte Pazifisten haben es schwer, ihren Verlockungen zu widerstehen. Besonders unwiderstehlich sind dabei heute nicht die glühend idealistischen Stimmen, die heilige Werte beschwören und einer „Blutmystik“ anhängen, sondern die betont „schmerzhaft“ realistischen.
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