Das Geschenk des Teufels
11. März 2009 von Friedrich Müller-Reißmann
Es war einmal ein Land, da plagten sich die Menschen im Schweiße ihres Angesichts, doch die Erfolge waren so mäßig, dass es sogar der Teufel nicht länger mit ansehen konnte.
Eines Tages trat er in seiner ganzen Schönheit in ihre Mitte, in der Hand einen kleinen geflügelten Drachen, und sprach: „Ich bin gekommen, um euch zu helfen. Nicht aus Mitleid mit eurer Schinderei, nein, mir ist es ein Gräuel, wenn es nicht richtig vorangeht. Dieses Tierchen, das ich euch mitgebracht habe, könnt ihr vor jedes Gefährt spannen und ihr werdet jedes Ziel, das überhaupt erreichbar ist, schnell erreichen“.
„Und was frisst das Tier?“, fragten die Leute misstrauisch.
„Ach, nichts Besonderes, fast unterschiedslos alles. Füttert es einfach mit dem, was euch nicht so wichtig ist“.
„Das klingt gut. Aber was müssen wir dir dafür geben? Unsere Seelen verkaufen wir nicht“.
„Wo denkt ihr hin! Die Zeiten, wo wir Teufel um Seelen handelten, gehören längst der Vergangenheit an“.
„Aber die Sache muss doch einen Haken haben“.
„Nun, eines müsst ihr wissen: Das Tier ist von meiner Art und kann Stillstand nicht ertragen; es braucht immer neue Ziele“.
„Wenn es nur das ist – an Wünschen mangelt es uns nicht“, freudig nahmen sie das Geschenk des Teufels in Empfang.
Der Teufel hatte nicht zu viel versprochen. Die Leute hatten bald genug zu essen, waren gut gekleidet und hatten große warme Wohnungen. Den geflügelten Drachen fütterten sie mit Holz, Kohle und Erdöl, Eisen, Kupfer und was sie sonst alles in ihrem Land fanden oder aus anderen Ländern günstig heranschleppen konnten. Aber eines hatte ihnen der Teufel verschwiegen, aber sicher dachte er sich, dass sich das die Leute hätten denken können, der Drache wuchs und brauchte immer mehr Nahrung. Und er brauchte – aber das hatte ihnen ja der Teufel deutlich genug gesagt – immer wieder Ziele, die erreicht, Wünsche, die erfüllt werden mussten. Es dauerte nicht lange, da stand in den Wohnungen der Leute allerlei nützliches und unnützes Zeug herum, ebenso in den Vorgärten, wohin sie den Beton- und Plastikschund aus den Baumärkten massenweise karrten.
Und das Tier brauchte immer mehr Ziele. Inzwischen gab es eine ganze Riege von Spezialisten, die den lieben langen Tag nichts anderes mehr taten, als sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was sich die Leute noch wünschen könnten. Und inzwischen waren auch die Dinge knapp geworden, auf die niemand groß wert legte. Da kam man auf die Idee, die alten Häuser abzureißen und mit denen den Drachen zu füttern und dafür mit seiner Hilfe größere und aufwändigere Häuser zu bauen. Aber viele wollten ihre Häuser, an die sie sich gewöhnt hatten, nicht hergeben. Sie wehrten sich eine Weile, doch zuletzt mussten sie der Realität ins Auge blicken. Doch irgendwie reichte auch das auf die Dauer nicht. Es wurden immer mehr Straßen gebaut, umgebaut, standardisiert und zoniert, saniert und modernisiert, und auf die Berge führten Seilbahnen, auf denen die Leute hinauf und gleich wieder herunter fuhren. Dafür wurde das Tier mit vielen schönen Wiesen und Wäldern gefüttert. Auch mancher gewundene Bachlauf verschwand in seinem Schlund, dafür konnte man eine Menge Betonröhren produzieren, durch die jetzt das Wasser unbehelligt von den Blicken der Menschen fließen konnte. Eine kleine Minderheit, besonders von Frauen protestierte leidenschaftlich dagegen, doch die meisten zuckten nur die Achseln. Auch als bekannt wurde, dass mehrere Tier- und Pflanzenarten bereits im Magen des geflügelten Drachen verschwunden waren, regte sich kaum Widerstand. Einer der eifrigsten Befürworter des neuen Erfolgskurses äußerte in einer öffentlichen Diskussion: „Es ist noch gar nicht bewiesen, ob wir all diese Singvögel überhaupt brauchen“. Und sich von etwas zu trennen, was man nicht braucht, das ist weiter kein Opfer.
Die Lage spitzte sich erst zu, als die Politiker von notwendigen Opfern zu reden begannen. Ganz offensichtlich waren die Dinge, von denen sich die Mehrheit leichten Herzens trennte (wie Singvögel, bunt blühende Wiesen oder gewundene Bachläufe), knapp geworden und reichten nicht mehr aus, das Tier zu befriedigen. Man begann jetzt von solchen Dingen zu reden wie Kündigungsschutz und Altersrente und anderen sozialen Errungenschaften, selbst soziale Selbstverständlichkeiten wie das Recht auf Verwurzelung in einer Heimat waren nicht mehr tabu. „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger“, war von den verantwortlichen Politikern zu hören, „das sind doch alles Dinge, die uns nicht so furchtbar wichtig sein können, dass wir wegen ihnen den Erfolgskurs, den wir dem Großen Drachen verdanken, in Gefahr bringen wollen“.
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Der Teufel saß zusammen mit seinem Cousin am Monitor und beobachtete genüsslich die Welt tief da unten.
„Es erstaunt mich immer wieder, wie gut das Spiel funktioniert“, meinte der Cousin des Teufels, der lange wie abwesend geschwiegen hatte: „Sie erfinden immer neue Ziele, die sie unbedingt und schnell erreichen müssen, und finden immer wieder Gründe, warum Dinge, die ihnen bislang etwas wert waren, doch nicht so wichtig sind und für die neuen Ziele geopfert werden können“.
Der Teufel nickte selbstzufrieden: „Wie stümperhaft waren dagegen unsere Methoden seinerzeit, als wir in Jägerkostümierung den Menschen ihre Seele mit Gold und Silber direkt abzuhandeln versuchten“.
„Es ist eigentlich nicht zu fassen“, griff der Cousin nach einer Weile seinen Gedanken wieder auf, „wie leicht die Menschen mit Blindheit zu schlagen sind. Sie setzen den Wettbewerb immer wieder nur für Umsatzsteigerungen ein, für Wachstum, für Mehr und Schneller. Ihre Türme werden immer höher und der Weg zur Spitze hinauf immer länger, und wenn sie oben angekommen das Glück dort nicht finden, planen sie einen noch höheren Turm. Sie kommen einfach nicht aus dem Teufelskreis heraus“.
„Du solltest nicht so abfällig vom Teufelskreis sprechen“, knurrte der Teufel verstimmt, „und außerdem nicht so laut reden. Das Schlimmste für uns wäre, wenn die da unten auf den Gedanken kommen, dass sie Alternativen haben“.