Gleichnisse zur Gewalt und ihren Ursachen
6. Dezember 2014 von Friedrich Müller-Reißmann
Gleichnisse zur Gewalt und ihren Ursachen
„Schule des Lebens“ – das Gleichnis vom ungerechten Lehrer
Der Lehrer belohnt die Leistungen der Schüler mit Anteilen am großen Kuchen, den es zu verteilen gibt. Wenn ein Schüler die Empfindung hat, dass der ihm zugeteilte Anteil seiner Leistung entspricht, und er zudem mit diesem zufrieden ist, ist alles in Ordnung. Wenn er jedoch nicht zufrieden ist und mehr will, hat er die Möglichkeit, seine Leistung durch Anstrengungen zu steigern. Wenn er das aus welchen Gründen auch immer nicht schafft, aber der Meinung ist, dass ihm eigentlich mehr zusteht, dann bietet sich als Lösung der Betrug an. Der Schüler täuscht dem Lehrer eine Leistung vor, die er nicht erbracht hat. Das Leben zeigt, dass Betrug ein ziemlich zuverlässiges Erfolgsrezept ist, jedenfalls für den geschickten Betrüger
Wenn aber der Lehrer die Leistungen der Schüler, ob ehrlich erbracht oder erschwindelt, überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt und die Belohnungen willkürlich bzw. nach unbekannten Prinzipen verteilt, dann hilft es nichts, sich anzustrengen, nichts zu betrügen. Eine Schulbehörde, die auf Beschwerden reagiert gibt es nicht. Für den Gewinner des ungerechten Spiels ist Ungerechtigkeit weiter kein Problem Was bleibt aber dem Verlierer außer Gewalt?
Aber hilft sie ihm? Die Gewinner sind reich geworden und können sich Wächter leisten, die ihren Reichtum vor dem Zugriff anderer schützen. Die Looser, denen es am Nötigsten fehlt, sind ihnen gegenüber chancenlos, erst recht gegen den übermächtigen Lehrer. Die gezielte Anwendung von Gewalt führt also nicht zum erwünschten Erfolg. Umso mehr braucht der Looser die Gewalt, um nicht an seinem Frust zu ersticken. Und diese Gewalt ist eruptiv, blindwütig, ungezielt und trifft nur andere Looser.
„Wem nicht zu helfen ist, dem weinen wir keine Träne nach “ – das Gleichnis von den drei Medizinern
Ein Mann hatte immer wieder Schmerzen in seinem linken Fuß, immer nur in seinem linken. Er ging zum Arzt, doch der konnte trotz Röntgen, Ultraschall und Magnetresonanz die Ursache nicht finden und verschrieb ihm Schmerzmittel. Das half natürlich nur für eine kurze Zeit. Der Arzt versuchte es mit allen möglichen Medikamenten, teuren Spritzen, Bestrahlungen, Massagen usw. Als der Arzt am Ende seines Lateins war, schickte er ihn zu einem Psychologen. Der war ein kluger Kopf und begriff sofort, dass für die Schmerzen im linken Fuß beim besten Willen keine seelischen Ursachen, Beziehungsprobleme, Überforderung, Unterforderung, Orientierungsverlust, erlittene Demütigungen und dergleichen in Frage kamen. Denn dann hätten die Schmerzen doch in beiden Füßen auftreten müssen. Es konnte nur am linken Fuß selbst liegen. Und so schickte er ihn zum Chirurgen. Für den bestanden keine großen Zweifel: Was so lange stört und sich hartnäckig allen Besserungsbemühungen widersetzt, muss weg!
Ordnung hat seinen Preis – das Gleichnis vom Elefant im Porzellanladen
Ein Elefant kam in einen Porzellanladen. Zu seinem Missbehagen sah er, dass im Laden ein ziemliches Durcheinander herrschte. Da er ein sehr ordnungsliebender Elefant war, schickte sich an, die Dinge nach seinen bewährten Prinzipen zu sortieren. Doch wie zu erwarten stieß er dabei Regale um „Halb so schlimm“, dachte er, „mit Scherben kann man leben, aber nicht ohne Ordnung“. Und fuhr fort, Ordnung zu schaffen.
„Niemals klein beigeben!“ – Das Gleichnis von der Kanone, die das letzte Wort haben wollte
Eine Kanone ärgerte sich über das Echo. Das ist für eine Kanone wirklich nicht hinnehmbar, dass so ein Niemand immer das letzte Wort hat, und so beschloss sie, ihm eine Lektion zu erteilen und einen solchen Schrecken einzujagen, dass ihm die Lust auf das letzte Wort vergehen würde. Und die Kanone füllte sich mit der doppelten Menge an Pulver. Der Knall war fürchterlich, doch das Echo gab nicht klein bei, da versuchte sie es mit der dreifachen Menge, dann mit der vierfachen, fünffachen usw. Am Ende erreichte sie ihr Ziel und sprach tatsächlich das „letzte Wort“.
Das Gleichnis von der Leberwurst, die eine Blutwurst sein wollte
Die Leberwurst haderte mit ihrem Schicksal. Wenn überhaupt mal jemand ein Wort über sie verlor, hieß es „beleidigte Leberwurst, beleidigte Leberwurst“. „Ach, was bin ich doch für ein armseliges graues Nichts“ dachte sie, „jeder kann sich ungestraft über mich lustig machen und niemand interessiert sich für mich und meine Probleme“. Ihr Kummer wurde zur Verzweiflung, als sie eines Tages prächtigen glänzenden schwarzroten Blutwürsten begegnete, die vor Selbstgewissheit strotzten und über die niemand zu lachen wagte. Wie kann ich nur so werden wie die? Diese Frage ließ sie von Stund an nicht mehr los. Schließlich fasste sie sich ein Herz und näherte sich einer Blutwurst. „Du willst werden wie wir?“, meinte die, „nichts leichter als das, du musst nur unseren Feinden den Krieg erklären und mit uns in den Kampf ziehen“. Und so geschah es. Die Leberwurst tat sich im Kampf hervor, musste sie doch beweisen, dass sie der ungewöhnlichen Bundesgenossenschaft würdig war. Bald hatte sie den Beinamen „die Blutige“, aber eine Blutwurst war sie trotzdem nicht geworden.