Liqiditätsabgabe statt Zins
14. November 2014 von Friedrich Müller-Reißmann
Liquiditätsabgabe statt Zins- die alternative Umlaufsicherung
Zins und Zinseszins haben verheerende „Nebenwirkungen“. Sie sind eine der Ursachen dafür, dass sich die Vermögen in immer weniger Händen ansammeln (vgl. „Teufelskreise der Reichtumskonzentration“). Wir sind dem Zinswesen keinesfalls auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, denn zum Zins als Geldumlaufsicherer gibt es eine Alternative: Liquidität muss einen Preis bekommen, was logisch und ethisch völlig in Ordnung und marktsystemkonform wäre. Auf dem Markt bekommt man nichts für umsonst, weder einzelne Waren, noch Bildung, Wissen oder Mobilität. Warum soll ausgerechnet die Liquidität eine Ausnahme machen? Wer Geld im Tresor oder auf dem Girokonto zwecks sofortiger Verfügbarkeit für Geschäfte oder für Spekulationszwecke zu seinem eigenen Vorteil „hält“, also bei sich „stehen“ lässt, sollte dafür eine Art „Standgeld“ bezahlen, in Form eines prozentualen Wertverlusts z.B. von 6% pro Jahr auf das zurückgehaltene Geld. (Für die technische Realisierung existieren verschiedene Modelle, auf die ich hier nicht eingehe). Dieser Wertverlust fungiert als „Umlaufsicherung“. Denn man kann diesem Wertverlust nur entgehen, wenn man sein Geld, das man für eine gewisse Zeit nicht selbst verwenden will (für Konsum oder für Investitionen), für diese Zeit anderen als Kredit zur Verfügung stellt und damit in Guthaben verwandelt. Auch in Guthabenform wird Reichtum bequem und sicher „über die Zeit“ gebracht. Dieser große Vorteil sollte eigentlich genügen. (Dass es heute sehr unsichere Formen von Guthaben gibt, steht auf einem anderen Blatt. Die Unsicherheit resultiert aus den hochriskanten Transaktionen der Finanzindustrie, die, wenn sie so weitermacht, die Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes selbst gefährdet ). Der entscheidende Punkt: Dem Besitzer von (für ihn) überflüssigem Geld ist die Basis für die „Zinserpressung“ entzogen. Er kann nun nicht mehr auf seinem Reichtum in Geldform sitzen bleiben und warten, bis die Zinsen auf die gewünschte Höhe steigen, denn das Warten verursacht durch das „Standgeld“ Kosten. Der Gesellschaft steht nun reichlich Liquidität zur Verfügung, da sie nicht mehr gehortet wird. Der Zins sinkt nach marktwirtschaftlicher Logik gegen Null, mit anderen Worten: Geld hört auf, ein Asset, eine Einkommensquelle zu sein.
Wir haben somit ein anders funktionierendes Geldwesen: Geldhortung wird nicht dadurch vermieden, dass Geld durch ein „Lösegeld“ in den Kreislauf gelockt wird, sondern dass es vor dem „Standgeld“ in den Kreislauf „flieht“.
Während der Zins die Taschen der reichen Geldbesitzer füllt, fließen die Einnahmen aus der alternativen Umlaufsicherung in den Staatshaushalt, was sachgemäß ist, denn es ist die Gesellschaft als ganze, repräsentiert durch den Staat, die die Liquidität in Form des Geldes schafft und erhält. Und während durch die Zinseinnahmen die Reichen immer reicher werden, machen die Einnahmen aus der alternativen Umlaufsicherung den Staat keineswegs immer reicher! Diese hat den verhängnisvollen Effekt der positiven Rückkopplung nicht.
Die neue Umlaufsicherung ist also
(Erstens) effektiv, d.h. sie treibt, das Geld wirksam aus der Hortung in den Wirtschaftskreislauf und macht den Zins als Umlaufsicherung überflüssig.
Daniel Kahnemann, Nobelpreisträger für Ökonomie 2002, hat bereits 1979 empirisch nachgewiesen, dass ein Verlust emotional doppelt so schwer wiegt wie ein Gewinn der gleichen Höhe (vgl.Kahnemann/Tverski: „Prospect Theory: An Analysis of Decisions under Risk”. Econometrica 47(2), März 1979 S.273). Das bedeutet, dass die Vermeidung eines Verlustes stärker motiviert als ein gleichhoher Gewinn. Wer seine „überflüssigen“ 1000 € zur Bank trägt, um 60 € an Zinsen zu kassieren, wird das erst recht tun, wenn er dadurch 60 € Verlust vermeiden kann.
(Zweitens) effizienter als der Zins, da der erwünschte Effekt ohne die verheerenden „Nebenwirkungen“, die der Zins hat, erreicht wird. Diese „Nebenwirkungen“ noch einmal zusammengefasst:
- a) Der Zins bedeutet massive Subventionierung des Reichtums und ist eine der Quellen der „Übervermögen“ und „Überschuldungen“, der wachsenden Polarisierung in ARM und REICH und damit auch der heute ausufernden Spekulation. Die Gebühr auf Liquidität hingegen bereichert niemanden.
- b) Der Zins etabliert einen Infektionsherd in der herrschenden Mentalität für die sozialpathologische Hochschätzung des leistungslosen „Geldmachens“, womit der Zins letztlich auch die geistige Quelle der Spekulation ist.
- c) Der Zins verführt zu Kreditvergaben mit hohem Ausfallrisiko. Diese Missachtung der Sicherheit aus Profitinteressen macht das Finanzsystem, wie die Finanzkrisen zeigen, äußert fragil und instabil. Bei der alternativen Umlaufsicherung existiert keine vergleichbare Verlockung, Sicherheitsaspekte zu überspielen.
(Drittens) im höheren Maße mit dem Geist der Marktwirtschaft kompatibel.
Die heute herrschende Praxis der kostenfreien Überlassung der Liquidität an Private von Seiten des Staates räumt diesen unnötigerweise eine Machtposition ein, einen hohen Zins zu erpressen, wenn er eigentlich aufgrund der vorhandenen Kapitalmengen nach Marktgesetzen gegen Null tendieren müsste. Es zeigt sich hier einmal mehr: Macht korrumpiert den Markt. Die neue Umlaufsicherung nimmt dem Reichtum diese Macht. Der Zins wird gewissermaßen dazu befreit, seine marktgemäße Rolle als Knappheitspreis für das Kapital unverzerrt zu spielen.
Die andere „Logik“ hinter der „Liquiditätssteuer“:
Zu den selbstverständlichen Vorstellungen unserer Wirtschaftsordnung gehört, dass der Zins ethisch völlig in Ordnung sei: als Lohn für den, der sein Geld für eine gewisse Zeit einem anderen überlässt und damit für diese Zeit auf Liquidität „verzichtet“. Dem liegt – meist unreflektiert und unausgesprochen – die Auffassung zugrunde, dass der „Liquiditätsvorteil“ des Geldes dem Geldbesitzer gleichsam als Eigentum „gehört“, dass er also zu Recht vom Kreditnehmer eine „Liquiditätsverzichtsprämie“ einfordern kann, wenn er sein Geld verleiht und damit „seinen“ Liquiditätsvorteil dem Kreditnehmer überlässt. Oder umgekehrt, dass derjenige, der mit dem Geld zugleich den „Liquiditätsvorteil “ bekommt, zu Recht eine „Liquiditätsprämie“ dafür bezahlen muss. Je nach Blickrichtung gilt hier also der Zins als „Liquiditätsverzichtsprämie“, die der Gläubiger bekommt oder als „Liquiditätsprämie“, die der Schuldner zu zahlen hat.
Der „Liquiditätssteuer“ liegt eine völlig andere Auffassung zugrunde. Der „Liquiditätsvorteil“ des Geldes ist eine Systemeigenschaft des Geldes, das sich einer gesellschaftlichen Leistung verdankt. Der „Liquiditätsvorteil“ kann deshalb dem Geldbesitzer gar nicht „gehören“. Ihm gehört nur das Geld als Geldvermögen Wenn er den „Liquiditätsvorteil“ seines Geldes nutzen will, was ja bedeutet, dass er das Geld zu seiner ständigen Verfügung bei sich stehen lässt und damit dem Wirtschaftskreislauf zum Schaden der Allgemeinheit entzieht, dann muss er dafür eine „Liquiditätsprämie“ als Preis für die Liquidität , eben das „Standgeld“ ( die alternative Umlaufsicherungsbebühr) bezahlen.
Die alte Auffassung ist eigentlich wenig einleuchtend. Der Kreditgeber „verzichtet“ ja tatsächlich nicht auf den „Liquiditätsvorteil“, denn er hat genug flüssiges Geld und verleiht nur ‚überflüssiges’. Niemand verleiht normalerweise Geld, das er in einem absehbaren Zeitraum braucht. Umgekehrt ist ein Kreditnehmer ja überhaupt nicht am „Liquiditätsvorteil“ interessiert. In der Regel leiht niemand, Geld, um es im Tresor zu haben oder als Giralgeld zu halten. Wer leiht, gibt das Geld im Normalfall sofort für einen bestimmten Zweck wieder aus. Für etwas, das er gar nicht weggegeben hat, kassiert der eine, und für etwas, das er nicht bzw. nur für den kurzen Moment vor der Nutzung des geliehenen Geldes bekommen hat, zahlt der andere – und das u.U. für viele Jahre. Da ist das „Standgeld“ als „Liquiditätsprämie“, die derjenige bezahlt, der den Liquiditätsvorteil tatsächlich genießt, und zwar genau für die Dauer, in der der Vorteil tatsächlich existiert, in sich viel stimmiger.
Text in pdf-format: Liquiditätssteuer