Über das Platzen von Vermögensblasen, Kapitalvernichtung und Geldverbrennung
10. März 2009 von Friedrich Müller-Reißmann
In Kommentaren zur Finanzkrise ist vom „Platzen von Vermögensblasen” die Rede, von „Kapitalvernichtung” oder davon, dass da „Milliarden verbrannt” worden seien. Vor der Finanzkrise, heißt es in einer kritischen Fernsehdokumentation, sei die Finanzindustrie eine riesige „Geldvermehrungsmaschine” gewesen und sei nun zu einer riesigen „Geldvernichtungsmaschine” geworden. Ich frage mich, ob solche Formulierungen der Aufklärung dienen oder mehr der Verschleierung dessen, was vor und in der Finanzkrise passiert ist, ob sie uns poltisch mobilisieren oder einschläfern sollen.
Wird Vermögen vernichtet, wenn „Vermögensblasen platzen”?
Was soll man sich unter diesem Bild vorstellen? Werden da diese übergroßen Vermögen der Reichen und Superreichen gestutzt? Und sollte uns das, die wir nicht über solche Vermögen verfügen oder zu Recht die wachsende Ungerechtigkeit in der Vermögensverteilung beklagen und ihre gefährlichen Folgen beschwören, nicht mit Genugtuung erfüllen? Die Finanzkrise – ein Prozess aus-gleichender Gerechtigkeit, der die zu hohen Berge des Reichtums abträgt? Was soll man anderes denken, wenn die Weltbank (März 2009) verkündet, dass die Finanzkrise weltweit bislang 40.000 Mrd. € „Vermögenswerte vernichtet” habe? Endlich hat es auch einmal die Reichen getroffen, die großen Spekulanten, die den Hals nicht voll bekommen konnten und sich prächtig verspekuliert haben, diese Banker, Broker, Makler, Analysten, Fondsmanager, dieses ganze narzissti-sche Geldpack! Die klammheimliche Freude, die bei manchen weniger Begüter-ten da aufkommt, dürfte auf einem Irrtum beruhen.
Es ist ganz grundsätzlich festzustellen: die riesigen Vermögen der Reichen sind kei-ne „Vermögensblasen” und sie zerstreuen sich in einer Finanzkrise, wie wir sie jetzt erleben, nicht in alle Winde. Die Vermögen sind nach wie vor vorhanden (teilweise in anderen, zumeist größeren Händen!), und es existiert, soweit die Vermögen die Gestalt des Guthabens haben, auch weiterhin ihr Gegenstück, die ganz reale, bedrückende Last der Schulden, die den Guthaben auf Heller und Pfennig entsprechen. Es wäre zu schön, um wahr zu sein, wenn mit dem „Platzen von Vermögensblasen” die Schuldenberge abgetragen würden!
Das Bild der „Vermögensblase” macht jedoch Sinn: bei jenen „Vermögen”, de-ren Wert im „abgeleiteten” und vom Markt abhängigen Kurswert besteht, also bei den „guten alten” Aktien oder bei den neuen „Wertpapieren”, den CDOs (‚Collaterised Debt Obligations’) z.B., jene Derivate, in die man die Hypotheken des US-amerikanischen Immobilienmarktes im großen Stil verwandelt und glo-bal vermarktet hat. Unerfahrene „kleine Leute”, die solche „Finanzprodukte” gekauft haben, mögen den Kurswert ihrer Erwerbungen als ihr Vermögen betrachtet haben, doch die Erfahrenen wissen natürlich, dass es sich nur um „Ver-mögensblasen” handelt, die sich füllen oder leeren, und dass echtes Vermögen aus ihnen nur für die entsteht, die sie teurer verkaufen, als sie sie gekauft haben. Und dass die, die es unglücklicherweise umgekehrt machen, echtes Vermögen in entsprechender Höhe einbüßen. Allerdings muss man angesichts der gegenwärti-gen Finanzkrise hinzufügen, dass sich da auch viele Finanzprofis, sogar Manager von Großbanken, wie Anfänger benommen und den Zeitpunkt verschlafen haben, an dem sie kräftig abzusahnen hofften. War ihre analytische Kompetenz bzw. ihr Gespür für Risiken womöglich so mangelhaft, dass sie glaubten, dieser Zeitpunkt läge noch in weiter Ferne? In den letzten Jahren vor der Krise haben sich riesige und wachsende Mengen echten Vermögens in Richtung dieser „Vermögensblasen” bewegt, genauer gesagt: sind zu denen gewandert, die solche „Blasen” zum Verkauf angeboten haben. Und so wurden aufgrund der wachsenden Nachfrage diese „Blasen” mächtig „aufgeblasen”, aber nicht in dem Sinne, dass solche Mengen echten Vermögens in sie „hineingesteckt” worden wä-ren, wie es dem Zuwachs ihres Kurswertes entsprach. Jeder, der eine Aktie besitzt, die in den letzten Jahren gestiegen ist, kann sich das sofort klarmachen: keine müde Mark hat er selbst für diesen Zuwachs „hineinstecken” müssen. Und auch die anderen haben, indem sie die Nachfrage nach diesen Aktien und da-durch deren Kurswert in die Höhe getrieben haben, nichts irgendwo „hineingesteckt”, das Geld, das sie in den Kauf dieser Aktien „investiert” haben, befindet sich in den Taschen derer, die die Aktien verkauft haben. Der Kurswert der Aktien hat rechnerisch nichts mit der Menge der Vermögen zu tun, die beim Kauf und Verkauf der Aktien bewegt werden, sondern nur mit der aktuellen Relation zwischen Nachfrage und Angebot. Das gilt grundsätzlich auch für alle anderen „Vermögensblasen”. Aus diesen Grunde können die Derivate in ihrem Kurswert rechnerisch die zum Kauf der Derivate eingesetzten Geldvermögen weit übersteigen, nicht nur das: sie können rechnerisch die Summe aller Vermögen übersteigen. Im Bilde gesprochen: mit echtem Vermögen kann man viel „Vermögensluft” erzeugen, und es ist ein Ding der schieren Unmöglichkeit – schon aus Mangel an Vermögen insgesamt – die „Vermögensluft” 1:1 in Vermögen umzuwandeln. Das gelingt immer nur einigen: den Spekulationsgewinnern. Das sind die, die die richtigen Momente nicht verpasst haben.
So ist das Bild vom „Platzen von Vermögensblasen” in der 2007 einsetzenden Finanzkrise irreführend, es suggeriert eine Art Explosion aufgrund eines Überdrucks in den prall mit Vermögen „gefüllten” Blasen – eine Vorstellung, die die Wahrheit auf den Kopf stellt (ansonsten hätte doch mancher von uns etwas von dem erfreulichen finanziellen Fallout nach der großem Explosion merken müssen!), in Wahrheit wurden rechtzeitig von einigen Spekulanten große Vermö-gensmengen (wenn man schon das irreführende Bild benutzen will) „aus den Blasen herausgenommen”, d.h. sie wurden, als ihr Kurswert hoch war, im großen Stil verkauft und zwar zumeist von den Cleveren, die sie zuvor relativ günstig gekauft hatten. Das Nachsehen hatten besonders die Unerfahrenen, die Naiven, die sie zu diesem Moment noch gekauft haben, als die Erfahrenen mit ihren Verkäufen bereits den Niedergang der Blasen einläuteten, und die nun deutlich abgewertete Blasen in der Hand hatten. An den Vermögen selbst hat sich nichts Grundlegendes verändert und schon gar nichts an deren skandalöser und gefährlicher Ungleichverteilung, sie hat sich eher noch verschärft, denn die Cleveren waren zumeist die „Großen”. Genauso irreführend ist es, wenn in den Medien beim Einbrechen der Kurswerte von „Kapitalvernichtung” und „Geldverbrennung” geredet wird.
Ob an den offiziell-öffentlichen und regulierten Handelsplätzen solcher „Wertpapiere”, die man Börsen nennt, der Handel stattfindet, oder an diversen nichtöf-fentlichen und nicht regulierten Orten „offshore” (wie den Cayman oder den British Virgin Inseln), immer das gleiche banale Spiel : immer werden Anteile an verschiedenartigsten „Blasen” mit echtem Vermögen gekauft oder verkauft. Kein Cent echten Vermögens wird bei diesen Spielen vernichtet oder erzeugt. Die sogenannten „Finanzprodukte”, die die „Finanzindustrie” wahrlich mit in-dustriellem Fleiß und industrieller Systematik, gewissermaßen am Fließband akrobatischer Kreativität geschaffen und ihren (naiven und/oder geldgierigen) Kunden zum Kauf angeboten hat, sind letztlich „Vermögensblasen” – allerdings haben sie vielfach etwas mit den echten Vermögen gemein: sie liefern ein Einkommen (Rendite). Die Frage ist nur, aus welchen Quellen sich diese Einkom-men speisen. Doch das ist ein anderes Thema.
Die Finanzindustrie war vor der Krise keine riesige „Geldvermehrungsmaschine” und sie hat sich auch in der Krise nicht zu einer riesigen „Geldvernichtungsmaschine” verwandelt. In Wahrheit wird da nichts vermehrt und nichts vernichtet. Die riesigen Mengen an Geld, die vor der Krise in die Taschen gewisser Leute flossen, wurden entweder unmittelbar oder mit einer gewissen Zeitverzögerung in der Krise aus den Taschen zumeist anderer Leute gezogen. Es wäre korrekter, von einer riesigen „Geldverschiebungsmaschine” zu reden.
Kapitalvernichtung durch die Finanzkrise?
Wenn man mit „Kapital” die Geldvermögen ganz allgemein meint, die in einem System existieren und theoretisch für Investitionen zur Verfügung stehen, dann ist die Frage strikt zu verneinen. Wenn man jedoch unter Kapital jene Menge an liquiden Finanzmitteln versteht, die den Banken zur Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgabe: der Vergabe von Krediten an Unternehmen (und Haushalte) aktuell zur Verfügung stehen, dann ist diese Aussage zutreffend. Obwohl Vermögen in Hülle und Fülle vorhanden sind, fehlt es vielen Banken an Geld zur Wahrnehmung ihrer wichtigsten Funktion. Das ist jedoch nicht der ganze Grund dafür, dass gegenwärtig nur sehr zögerlich Kredite von Banken vergeben werden (s.u.).
Was zur „Kapitalvernichtung” geführt hat, lässt sich in seiner Grundstruktur ver-einfacht so darstellen: Viele Banken in aller Welt haben im großen Stil Teile ihrer verfügbaren Mittel, die letztlich auf den Einlagen der Bankkunden beruhen und damit begrenzt sind, entweder selbst zum Kauf von spekulativen „Wertpapieren” eingesetzt oder als Kredite an Spekulanten vergeben und dabei als Sicherheit den Besitz der Kreditnehmer an spekulativen „Wertpapieren” akzeptiert. Sie haben sich damit auf doppelte Weise in die Spekulation verstrickt. Es ist nicht neu, dass für den Kauf von „Vermögensblasen” zwecks erhoffter Spekulationsgewinne nicht nur eigenes Geld, sondern auch geliehenes Geld eingesetzt wird. Das war schon immer der Stoff, aus dem Zusammenbrüche von einzelnen Finanzinstituten oder Finanzkrisen gemacht wurden. Neu ist an der jetzigen Krise die Größenordnung, bedingt (erstens) dadurch, dass solche „Vermögensbla-sen” (vor allem die CDOs und die von ihnen „abgeleiteten” Derivate) im globalen Stil vermarktet wurden und auch große, renommierte Bankhäuser nicht widerstehen konnten, so dass die Dominoeffekte bei Ausfällen weiter ausgreifen, und (zweitens), dass die neue Sicherheitsphilosophie (die „kollaterale” Absicherung von Krediten vor allem durch CDOs) eine bisher so nicht gekannte Fehleinschätzung der Risiken bedingte, die zu leichtsinnigen Kreditvergaben verführte (weniger an Unternehmen als vielmehr an Spekulanten wie die „Alphajäger” der Private Equity Firmen – für Unternehmensübernahmen). Als dann der Markt für diese „Wertpapiere” einbrach, befanden sich viele Finanzinstitute in der ganzen Welt von zwei Seiten her in der Klemme: einerseits hatten sie in ihren Bilanzen (oder außerhalb derselben in „Zweckgesellschaften” versteckt) „Wertpapiere”, die nichts mehr wert waren, d.h. die sowohl keine laufenden Einkommen mehr brachten als auch praktisch unverkäuflich waren, so dass den Banken die Liqui-dität wegbrach, auf der anderen Seite hatten sie plötzlich „faule Kredite” in ih-ren Bilanzen, weil ihren Gläubigern dasselbe passiert war. Diese hatten ja die „Wertpapiere” als „kollaterale Sicherheit” und Einnahmequelle zur Bedienung der aufgenommenen Kredite benutzt.
Das entstandene riesige Netz, das das ganze Finanzsystem durchzog und den boomenden Derivatehandel und das „normale” Kreditgeschäft der Banken zu einer nicht mehr entwirrbaren Einheit verknüpfte und wie ein Netz der „kollektiven Sicherheit” aussah, erwies sich plötzlich als ein Netz „kollektiver Unsicherheit” und Misstrauens, das alle mehr oder weniger in ihrer misslichen Lage fest-hielt. Bei vielen Banken war nicht nur die „reelle Substanz” weggebrochen, die Liquidität, um Kredite vergeben zu können, sondern im gesamten Finanzsystem die dafür notwendige „geistige Substanz”, das Vertrauen, so dass man auch da vor Krediten zurückschreckt, wo sie von den Mitteln her noch möglich wären.
Damit stehen zwei Thesen über die Spekulation und die durch sie ausgelöste Finanzkrise im Raum:
1) Spekulation vernichtet nicht Vermögen, sondern transferiert Vermögen von Arm nach Reich und vertieft die Vermögenskluft in der Gesellschaft. Die durch die Spekulation verursachte Finanzkrise verstärkt diesen Prozess noch einmal.
2) Spekulation entzieht permanent der Wirtschaft Geld. Die Finanzkrise spitzt diesen Prozess plötzlich massiv zu und beschwört damit eine schwerwiegende Wirtschaftskrise herauf.
Diese beiden Thesen sollen im Folgenden noch einmal verdeutlicht werden, um anschließend die Frage zu stellen, wozu wir überhaupt die Spekulation brauchen.
Die Vermögenskonzentration durch die Spekulation wird in der Finanzkrise noch einmal verstärkt
Gemeinhin wird die Spekulation als Nullsummenspiel bezeichnet. Was der eine Spekulant gewinnt, verlieren andere. So richtig diese Feststellung ist in Bezug auf die „Unfruchtbarkeit” der Spekulation – sie vermag nicht den geringsten Wert neu zu schaffen -, so verharmlosend ist sie im Blick auf ihre Auswirkungen. Das erste Problem, was durch die Rede von „Nullsummenspielen” im Dun-kel bleibt: Spekulation ist alles andere als sozial irrelevant oder ausgewogen. Wenn in etwa gleichrangige Spieler miteinander spielen oder Verlust und Gewinn nach dem Prinzip der Wahrscheinlichkeit mal hierhin, mal dorthin fallen, dann mag man denen, die ‚überflüssiges’ Vermögen dazu haben, dieses Spiel gönnen. Wenn heute Undurchschaubarkeit, Raffiniertheit, Komplexität geradezu das herausgehobene Merkmal der „neuen Finanzprodukte” ist, mit denen speku-liert wird, dann werden zwangsläufig die weniger Cleveren, die Anfänger, die Laien, die mit weniger Erfahrung, Verhandlungsgeschick und -macht, diejeni-gen, die sich keine teuren Analysten als Berater leisten können und über kein Insiderwissen verfügen, mit einem Wort: die „kleinen Leute” tendenziell die Verlierer sein. Dabei wird es nicht dem Zufall überlassen, ob sich „kleine Leute” an dem Spiel beteiligen. Es ist immer wieder zu beobachten, wie die Finanzindustrie durch Werbung und gezielte „Beratung” Personenkreise in das Spekulationsspiel hineinzieht, die zu Verlierern prädestiniert sind. Und dann werden aus „Nullsummenspielen” (sozial- und stabilitätspolitisch hoch relevante) „Transferspiele”. Auch die Spekulation lässt das Geld vorrangig in eine Richtung fließen: von Arm nach Reich. In diesem Sinn wirkt die Spekulation wie ein Verstärker des „unterirdischen Transfers” durch das Zinssystem. Die großen ‚überflüssi-gen’ Vermögen, die dadurch bereits indirekt auf Kosten der „kleinen Leute” wachsen, werden nun auch noch durch die Spekulation direkt vermehrt, wenn „kleine Leute” z.B. das mühsam zur Alterssicherung Ersparte durch Spekulation einbüßen. Spekulation ist nicht neutral, sie begünstig die großen Vermögen. Wenn man dann noch bedenkt, dass in diese „Transferspiele” schwache und ab-hängige Länder systematisch und gezielt hineingezogen werden, wird die Speku-lation vollends zu einem politisch hochbrisanten Thema. Dann geht es um Fragen internationaler Gerechtigkeit und Stabilität. Der Preis der Spekulation heißt dann auch: Armut, wachsende soziale Spannungen, Zunahme des Terrorismus, Bedrohung des Weltfriedens.
Was bewirkt aber nun die Finanzkrise? Kehrt sie den Prozess – wenigstens teilweise – um, indem nun die viel verlieren, die vorher viel gewonnen haben? In dem einen oder anderen Fall mag das passieren, und wenn man die großen Namen von großen Bankhäusern hört, die in Schieflage geraten sind, kann man den Eindruck gewinnen, dass es sich um den Normalfall handelt. Dies dürfte jedoch eine optische Täuschung sein. In der Krise kommt die Spekulation ja nicht ein-fach zum Erliegen, der Zusammenbruch selbst ist ein Akt der Spekulation, und es kommen dabei die Gesetze der Spekulation eher noch stärker zur Geltung. Es sind also wiederum die „Großen”, die ihre gekaufte Cleverness, ihre Beziehungen, ihre Macht, ihr strategisches Potential gegenüber denen ins Spiel bringen können, die von all dem weniger besitzen. Die Hauptverlierer, d.h. diejenigen, die zu spät, ja, die noch ganz zuletzt einstiegen und die spekulativen „Wertpapiere” kauften, deren Verkauf die Krise einläuteten, sind tendenziell die „Kleinen”, nicht nur die „kleinen Leute”, sondern auch weniger mächtige und einflussreiche Banken und andere „Geldinstitute”. Nicht umsonst haben die Apologeten des Systems im Zusammenhang der Finanzkrise als Positivum ihre „marktbereinigende” Wirkung herausgesellt. Bestimmt haben sie damit nicht gemeint, dass die Finanzkrise Marktmacht und allzu große Größe von Geldhäusern abgebaut habe. Jedenfalls ist ein Jahr nach dem Ausbruch der Krise 2007 mehr Kapital in den Händen von Hedgefonds als je zuvor. Und die Superreichen der Welt haben in dieser Zeit ihren Reichtum um mehr als 9% auf 40.700 Mrd. $ gesteigert.
Die Finanzkrise verstärkt die temporäre Kapitalvernichtung dramatisch
Wachsende Vermögenskonzentration ist der eine Punkt, der zu behandeln ist, wenn man die Rolle der Spekulation innerhalb unseres Finanz- und Wirtschaftssystems zu erfassen sucht. Es kommt ein weiterer schwerwiegender Punkt hinzu. Die Spekulation entzieht der realen Wirtschaft (für kürzere oder längere Zeit) Geld. Geld, solange es in der Spekulationssphäre unterwegs ist bzw. in Tresoren oder auf Girokonten gehalten wird, um für günstige Spekulationskäufe sofort verfügbar zu sein, kann nicht für langfristige Investitionen in der Wirtschaft genutzt werden. „Geldentziehung” bzw. „temporäre Geldvernichtung” wäre das Stichwort, das zur Aufklärung über die Funktion der Spekulation gehört, nicht „Geldverbrennung”. Und unter diesem Stichwort wären dann die Probleme zu behandeln, die mit dieser „dynamischen Hortung” des Geldes durch die Spekulation verbunden sind: die Schwierigkeit für die Notenbanken, die kaufkraftwirksame Geldmenge bzw. deren Umlaufgeschwindigkeit zu bestimmen, um auf die-ser Basis durch effektive Steuerung die Geldwertstabilität zu garantieren und sowohl Inflation als auch die noch schlimmere Deflation zu vermeiden.
Die Sache wird dadurch kompliziert, dass dieses Problem in einer „weit entwickelten” Volkswirtschaft wie unserer scheinbar in eine Art Problemlösung mutiert. Es haben sich nämlich inzwischen solche Mengen an ‚überflüssigen’ Vermögen angesammelt, dass sie gar nicht mehr in der Volkswirtschaft renditebringend untergebracht werden können. Sie befinden sich zunehmend in Händen, die sie weder für ihren Konsum noch für eigene Investitionen brauchen. Mit anderen Worten: eine Wirtschaft, in der die Massenkaufkraft sinkt und die unternehmerische Initiative keinen Auftrieb erfährt und die aus diesen Gründen (und anderen, vor allem ökologischen) gar nicht wachsen kann, soll zunehmende Ansprüche der Vermögenden auf Rendite erfüllen. Das geht nicht, und so wächst der Druck auf dem Kapitalmarkt durch Überanbot. In dieser Situation wirkt die Spekulation geradezu als Ventil, durch das Kapital entweicht und sich abstraktere Betätigungsfelder sucht. Vor diesem Hintergrund kann man sogar verstehen, dass die Politik die zunehmende Spekulation nicht grundsätzlich in Frage stellt. Eine Volkswirtschaft mit wachsender Konzentration der Vermögen braucht die Spekulation als (temporäre) Ausflucht (wobei ich allerdings bezweifle, dass allen Politikern, die nicht wagen, das Spekulantentum direkt anzugehen, diese Zusammenhänge bewusst sind).
Man könnte nun meinen, dass dieses Ventil eine systemstabilisierende Wirkung besitzt. Das wäre vielleicht der Fall, wenn eine gewisse Menge der ‚überflüssi-gen’ Vermögen tatsächlich nur richtungslos zwischen den reichen Spekulanten, gewissermaßen über der Welt der realen Notwendigkeiten, Bedürfnisse, Knappheiten schwebend, hin- und hergeschoben würden. Genau das ist aber nicht der Fall. Ein ständiger Transfer von Arm nach Reich aufgrund des Zinssystems und aufgrund der Spekulation vermehrt und konzentriert die ‚überflüssigen’ Vermö-gen und weitet die Spekulationssphäre immer weiter aus. In den Jahren vor der Krise ist der Derivatenmarkt, der Markt der (neuen) spekulativen „Wertpapie-ren”, zum größten Markt überhaupt angewachsen . Und es haben sich auch die Banken daran im großen Spiel beteiligt, Banken, die eigentlich die Funktion haben, für die Versorgung der Wirtschaft mit Kapital zu sorgen. Wie Banken einer-seits selber solche „Wertpapiere” aus Spekulationsgründen gekauft haben und andererseits Kredite an Spekulanten vergeben haben, die ihrerseits das geliehene Geld für den Kauf solcher spekulativen „Wertpapiere” benutzt haben und zugleich mit diesen die Kredite „kollateral” abgesichert haben, ist oben beschrie-ben. Als dann der Markt für diese „Wertpapiere” einbrach, konnte das von den Banken gewissermaßen der Spekulationssphäre überlassene Geld nicht mehr in die Geschäftssphäre der Banken zurückgeholt werden. Mit anderen Worten: vor der Krise hatten die Banken gewaltigen Mengen an Kapital nicht an die Werte schaffende Wirtschaft, sondern innerhalb des Finanzsystems für Spekulations-zwecke und damit ohne jede Aussicht auf echte Wertschöpfung weitergereicht. Das Geld befindet sich damit nicht mehr in der Verfügung der Banken, sondern innerhalb der Spekulationssphäre, und fehlt nun den Banken für Kredite für die Werte schaffende Wirtschaft. Das bedeutet: noch mehr Geld als vor der Krise befindet sich nach der Krise in den Vermögensbeständen von reichen Einzelper-sonen oder reichen Fonds, die gar nicht daran denken, es für „normale” Kreditvergaben an Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Warum sollten sie auch? Sie sind die Spekulationsgewinner, und welchen Grund sollten sie haben, an ihrer Erfolgsstrategie zu zweifeln? Von ihrer Seite sind weniger kontinuierliche Krdite zu erwarten, die die Unternehmen und Wirtschaft stabilisieren, als vielmehr spektakuläre Unternehmensübernahmen, die sie „aufmischen”.
Die durch die Spekulation bedingte „temporäre Kapitalvernichtung” (der man unter Vorbehalten noch gewisse positive Seiten zubilligen könnte, s.o.) ist durch die Finanzkrise so potenziert worden, dass es nun überall an Kapital und gegenseitigem Vertrauen fehlt, um die Wirtschaft normal am Laufen zu halten, und eine Wirtschaftskrise von erschreckendem Umfang ins Haus steht. Und dann wird es um temporäre und endgültige Kapitalvernichtung im ganz handgreiflichen Sinne gehen (wenn Fabriken und Anlagen ungenutzt stehen oder sogar ver-rotten und nie wieder in Betrieb genommen werden). Von dem Problem der Arbeitskraft-vernichtung, der temporären und in manchen Fällen auch endgültigen (wenn Menschen an ihrer langen Arbeitslosigkeit zerbrechen und verkommen) durch eine Wirtschaftskrise ganz zu schweigen. In der Wirtschaftskrise bekommt dann auch das Thema Vermögensverlust aufgrund der vermehrten Insolvenzen eine neue Qualität: Vermögen in der Gestalt von Guthaben lösen sich gewisser-maßen in Luft auf, während auf der anderen Seite die Schulden verschwinden. Doch es wäre zu fragen, ob dadurch in der Summe so etwas ein sozialer Ausgleich stattfindet, ob also eher Ärmere ihre Schulden und Reichere ihre Guthaben loswerden, oder ob es umgekehrt ist.
Die Spekulation leidet letztlich an dem gleichen inneren Widerspruch wie die Zinswirtschaft als solche. Einerseits ist diese zur sozialen Abmilderung des durch das Zinssystem in Gang gekommenen Transfers von Arm nach Reich auf Wachstum angewiesen, andererseits wirkt sie genau durch diesen Transfer als Wachstumsbremse, weil das Geld zunehmend zu denen lenkt wird, die es weder für Konsumsteigerungen noch eigene Investitionstätigkeit einsetzen. Geld wird aus denjenigen Schichten herausgezogen, die mit ihrem Mehrverbrauch Wachstum erzeugen könnten. Auch Spekulation funktioniert besser, wenn die Wirtschaft wächst, und ist an Wachstumsbremsen nicht interessiert. Aber die durch die wachsende Spekulation zwangsläufig heraufgeführte Krise hat Geld aus den Banken herausgezogen, den für Kredite an die Wirtschaft zuständigen Institutio-nen des Finanzsystems, und hat es zu großen Teilen zu reichen Einzelpersonen bzw. generell in jene Bereichen des Finanzsystems (wie Fonds) geschoben, deren Tätigkeitsfeld weniger in der Kreditvergabe an die Wirtschaft als in der Spekula-tion (Kreierung neuer „Finanzprodukte, Unternehmensübernahmen) liegt.
Spekulation ohne Ende – wozu brauchen wir sie überhaupt?
Forcierung der Vermögenskonzentration, Hauptverursacher von Finanz- und Wirtschaftskrisen – damit ist noch nicht die ganze verheerende Wirkung der Spekulation für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung genannt. Die vielleicht verhängnisvollste Wirkung ist die von ihr ausgehende Fehlsteuerung – sie verstärkt alle eindimensionalen, rein geldlichen, und kurzsichtigen Entscheidungen. Auch wenn die Spekulation, ja, die ganze Finanzindustrie, selbst nicht einen einzigen Cent an Wert schafft oder vernichtet, so greift sie massiv in die Wertschöpfungsprozesse ein und nimmt Einfluss darauf, was, wo, in welchen Mengen, unter welchen Bedingungen, mit welchen Nebenwirkungen, zu wessen Nutzen und auf wessen Kosten an Werten geschaffen wird. Auch Streubomben, Landminen, Tötungsmaschinen jeder Größenordnung, Schund, Überflüssiges und Schädliches jeglicher Art, Wegwerfartikel, Industrieprodukte mit eingebautem Verschleiß, überteuerte und problematische Arzneimittel, im-mer neue höchste Gebäude der Welt, künstliche Luxusinseln usw. usw. sind Werte im Sinne der Ökonomie. Und in diesem Sinne sind alle „Spiele” in der Finanzwelt Ernst, vielfach blutiger Ernst für reale Menschen und ein politisches Thema. Die großen Finanzakteure, Großaktionäre und Fondsmanager sind die eigentlichen Wirtschaftskapitäne, und ihr Kompass zeigt immer in Richtung auf die größten Renditen.
Die Vorgehensweise der „Heuschrecken”, der Private Equity Firmen , die mit „Hebelwirkung” in die reale Wirtschaft eingreifen, indem sie sich über „spekulationsgesicherte” Kredite (s.o.) ein Vielfaches ihres Eigenkapitals verschaffen und dann die so gewonnenen Milliarden dorthin lenken, wo sie in möglichst kurzer Zeit hohe Renditen erbringen, bildet nur die Spitze des Eisberges. Unternehmen aufzukaufen und umzustrukturieren, das Management auszuwechseln, Mitarbeiter zu entlassen, Teile stillzulegen oder auszulagern usw. und das alles nur, um kurzfristig den Wiederverkaufswert zu steigern, ohne Rücksicht auf die langfristige Lebensfähigkeit des Unternehmens, das mag vielen als Auswuchs er-scheinen, der nicht hinzunehmen ist. Doch es geht nicht nur um Auswüchse, das Problem ist wesentlich grundlegender. Spekulation greift nicht nur mit spektakulärer „Hebelwirkung” in die Realität ein, ihre Wirkung ist allgegenwärtig.
Die reale Wirtschaft wird heute von einer gigantischen Sphäre spekulierenden Geldes „eingehüllt”. Die Wirtschaft ist in ihr gefangen und wird von ihr be-stimmt. Das wird am unmittelbarsten an der Macht der Aktionäre sichtbar. Die Unternehmen und ihre Manager dürfen sich nicht in erster Linie an den Wün-schen ihrer Kunden orientieren, nicht an den Interesse ihrer Mitarbeiter, nicht an den Bedürfnissen der Kommune, in der sich das Unternehmen befindet, natürlich schon gar nicht an Umweltbelangen, obwohl das alles jedem gesunden Menschenverstand als etwas völlig Selbstverständliches erscheint, nein, sie müssen sich allein an den finanziellen Interessen ihre Aktionäre orientieren. Das Allerer-staunlichste daran: dass eine ganze Gesellschaft verlernt hat, sich darüber zu empören, sondern es als eine Art höherer ökonomischer Weisheit hinnimmt. Die große Mehrzahl der Ökonomen redet uns immer noch ein, dass den Interessen aller am besten gedient ist, wenn sich die Unternehmen nur auf die Interessen ihrer Aktionäre konzentrieren und alles andere hintanstellen. Dabei weiß jeder, dass es eine Lüge ist, denn je nachdem, an welchen Maßstäben sich Menschen orientieren, kommt ein völlig anderes Ergebnis heraus. Aus dieser Lüge kann auch die „unsichtbare Hand” des längst verblichenen Adam Smith keine Wahr-heit machen.
Konkret hat der kleine Aktionär natürlich nicht viel zu sagen, den eigentlichen Machtfaktor bilden die spekulierenden Großaktionäre bzw. die Manager der großen Fonds. Für sie zählt nur, in welchem Maße ein Unternehmen ihr Vermögen aktuell vermehrt. Es interessiert sie nicht einmal, ob das Unternehmen auch noch morgen oder gar übermorgen dazu in der Lage ist. Denn sie können ihre Aktien verkaufen und sich einen neuen Wirt suchen. Sie müssen noch nicht einmal wie gewisse Parasiten, deren Schicksal vom Überleben ihres Wirts abhängt, auf die-sen Rücksicht nehmen. Im Übrigen ist das Interesse spekulierender Aktionäre nicht einfach auf steigende Aktienkurse ausgerichtet. Das wäre eine verharmlo-sende Interpretation der Wirkung der Aktienspekulation auf die Unternehmen. Nur der eigentliche Anleger ist daran interessiert, doch nicht dieser bestimmt die Musik der Börse, sondern der Spekulant. Kontinuierlich gut wirtschaftende Unternehmen, deren Aktienkurse aufgrund ihrer Leistungen stetig wachsen, nützen dem Spekulanten überhaupt nichts. Er braucht raschen Anstieg, gefolgt von Einbrüchen, günstige Gelegenheiten für Einstieg und Ausstieg aus der Aktie. „Gute” Unternehmen sind für ihn wagemutige Unternehmen, die schnell mal ein paar Tausend Mitarbeiter entlassen, andere Unternehmen aufkaufen, sich immer wie-der neu „am Markt aufstellen”. Ein fest etabliertes, strukturelles Desinteresse der Spekulation am Wohlergehen der Unternehmen!
Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich kritisiere nicht das Interesse des Unternehmers am Gewinn, Gewinnaussichten motivieren und beflügeln, und Unternehmer haben tausendfach in der Geschichte bewiesen, dass dieses Interesse sehr wohl mit der Verantwortung für andere in Einklang zu bringen ist. Abgese-hen davon, dass Politik durch geeignete Rahmensetzung diesen Einklang zudem strukturell begünstigen könnte, z.B. durch ein Steuersystem, das nicht das Weg-rationalisieren von Arbeit, sondern von Umweltbelastung belohnt. Was ich kriti-siere, ist, dass mit der immer uferloser gewordenen Spekulation praktisch ein struktureller Zwang entstanden ist, der den Unternehmen bzw. ihren Managern nur noch die Wahl lässt zu einem rücksichtslosen und kurzfristigen Agieren. Ich kritisiere, dass durch das Gewicht der Spekulation Kapital verstärkt in jene Pro-jekte gelenkt wird, die einen möglichst schnellen, lukrativen Rückfluss verspre-chen. Womit es vorrangig wiederum vermehrt in die Hände derer zurückkehrt, die es in die ihnen günstige Richtung gelenkt haben. Was für das einzelne Unter-nehmen gilt, gilt für ganze Länder und für die globale Entwicklung insgesamt. Die Spekulation findet nicht auf einer gesonderten Spielwiese statt, auf der sich diejenigen, die zu viel Geld haben, gegenseitig zu überlisten versuchen, sondern wir haben zugelassen, dass die Spekulanten unsere Erde zu ihrer Spielwiese ge-macht haben und mit ihren Interessen die gesamte Weltentwicklung bestimmen. Die gegenwärtige Finanzkrise hat dem keinen Riegel vorgeschoben. Alles wird eher in verschärfter Form weitergehen. Solange die Politik nicht begreift, wir nicht endlich begreifen, dass Spekulation ohne jeden wirtschaftlichen und gesell-schaftlichen Wert ist, und es nicht den geringsten Grund gibt, uns den Interessen der Spekulanten zu unterwerfen.
Es geht nicht „nur” um Gerechtigkeit in der Verteilung des Reichtums, es geht um die dauerhafte Funktionsfähigkeit unserer Wirtschaft. Geld, das vorrangig mit dem Ziel der Reichtumsvermehrung weniger eingesetzt wird, kann immer weniger seine eigentliche Aufgabe für Handel und Wandel im Interesse aller erfüllen. Von den sozialen und globalen Konfliktpotentialen, das durch die perverse Ausrichtung des Geldes aufgebaut wird, ganz zu schweigen.
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