Mobilmachung
4. November 2014 von Friedrich Müller-Reißmann
Geistige Mobilmachung ( 2013)
Dschingis Khan ließ dem Schah des mächtigen islamischen Reiches Choresmien, nachdem dort eine mongolische Karawane überfallen und niedergemacht worden war, die lapidare Botschaft übermitteln: „Du willst Krieg? Du sollst ihn haben”. Wenig später war das blühende Land mit seiner prächtigen Hauptstadt Gurgandsch verwüstet und dem mongolischen Reich einverleibt. Das geschah um das Jahr 1220.
Diese Anekdote wirft ein bezeichnendes Licht auf den skrupellosen übermächtigen Eroberer, ist aber völlig untypisch und irreführend, was Kriegsauslösungen im Allgemeinen betrifft. Sie blendet den ganzen großen Aufwand der Kriegsvorbereitung aus. Selbst in den Staaten und Stämmen in vordemokratischen Zeiten musste über einen längeren Zeitraum ein System der Erziehung zur „Wehrertüchtigung”, bestehend aus bestimmten Mythen, Idealen, Symbolen. Ritualen, Belohnungen und Strafen, Übung und Drill usw., aufgebaut werden, bevor man eine hinreichende Zahl “kriegstauglicher” junger Männer, die sich bestimmten Vorstellungen von Männlichkeit, Ehre, Pflicht usw. unterwarfen, zur Verfügung hatte, um losschlagen zu können. Gerade die Mongolen Dschingis Khans haben sich bei der Entwicklung von Korpsgeist an Systematik hervorgetan.
Eine wichtige Rolle für die Entstehung von Kriegsbereitschaft spielte zu allen Zeiten das Versprechen von persönlichen Belohnungen, die Verlockung des Abenteuers und die Aussicht auf Beute. Plünderungen und Vergewaltigungen. Doch man zielt politisch viel zu kurz, wenn man hier nur das naturwüchsige Produkt gieriger, testosterongesteuerter junger Männer sieht. Diese Phänomene sind von Anfang an eingeplant und werden von übergeordneten Kräften und kriegsinteressierten Machthabern und Eliten gezielt einsetzt; derartige Belohnungen gehören zur Logik der „Mobilmachungskultur”. Eine schlechterdings perverse, aber nichtsdestotrotz sehr effektive Variante ist hierbei die Verheißung himmlischen Lohns: Sündenvergebung, Ablass (vom Fegefeuer), schnellstmöglicher Eingang ins Paradies. Dass der „erfolgreiche” Kämpfer, der möglichst viele feindliche Männer erschlägt, sich mit deren schutzlos gewordenen Frauen und Töchtern „belohnt”, entbehrt nicht einer gewissen inneren Logik. Aber dass die Vorstellung Verbreitung finden konnte, dass man durch das Umbringen von Menschen irgendwie in der Gunst Gottes steigt, ist für keinen gesunden Verstand nachvollziehbar. Doch die Masche mit dem himmlischen Lohn hat gezogen. Im christlichen Mittelalter wurden Tausende mit dieser Aussicht mobilisiert, an Kreuzfahrten (gegen die Moslems im sog. Heiligen Land oder gegen die Katharer in Südfrankreich) teilzunehmen. In der Gegenwart des 21.Jahrhunders hat diese Absurdität bei den islamistischen Jihadisten und Selbstmordattentätern eine traurige Renaissance erfahren.
Doch zur Logik der Mobilmachungskultur gehört sehr viel mehr als Belohnungsversprechen an die direkt beteiligten „Krieger”, Ritter, Legionäre, Söldner, Soldaten usw.
Besonders in demokratischen Gesellschaften müssen alle gesellschaftlichen Kräfte, nicht nur die „Kämpfer” selbst, die jungen Männer, sondern auch ihre Mütter und Väter, Frauen usw., „kriegstauglich” gemacht werden. Kriege werden nicht „vom Zaun gebrochen”, folgen nicht ohne weiteres aus dem spontanen Willkürakt eines größenwahnsinnigen Machthabers; „Feinde” fallen nicht vom Himmel wie die Furcht einflößenden Außerirdischen in den futuristischen Thrillern made in USA. Sie tauchen nicht überraschend am Horizont der uns bekannten Welt auf, um uns heimzusuchen. In Wahrheit kennen wir sie seit langem und waren an ihrer Entstehung aktiv beteiligt. „Feinde” sind zumeist das Ergebnis eines aufwändigen und klar erkennbaren politischen Prozesses. Dass sich bei der geistigen Mobilmachung gerade die geistige Elite eines Landes hervortun kann, dokumentiert Romain Rolland eindrucksvoll in seinen Tagebüchern am Beispiel Frankreich vor dem 1. Weltkrieg. Selbst große, weltbekannte Dichter wurden zu Hasspredigern. Und Pegasus, lässt er sich vor den Karren des Kriegsgottes spannen, zieht leider besonders wirkungsvoll. Ein prominentes deutsches Beispiel ist Heinrich v.Kleist und sein Gedicht „Germania an ihre Kinder” von 1811, in dem der „Tag der Rache” an „diesen Franken”, der „Afterbrut”, beschworen wird und alle Deutschen dazu aufgerufen werden, die Städte „mit ihren Knochen weiß zu färben” und „den Rhein mit ihren Leichen zu dämmen”.
Es bedarf eines großen Einsatzes an propagandistischen Mitteln, um die Bevölkerung psychisch und kognitiv zu mobilisieren und in den Zustand der Kriegsbereitschaft zu bringen, der ein Ausnahmezustand ist. Selbst ein Ereignis wie der 11. September 2001 reicht allein nicht dazu aus. Normale, gesunde Menschen haben kein Interesse daran, ihr Leben und das ihrer Familien aufs Spiel zu setzen, nur um Menschen zu töten, die ihnen persönlich nichts getan haben. Dazu muss ein Klima der Angst, des Hasses, des intoleranten Nationalismus, religiösen Fundamentalismus oder sonstigen Überlegenheitswahns politisch gezüchtet und geschürt werden.
Bei diesem Propagandafeldzug, der dem realen Feldzug vorausgeht und ihn auch begleitet, spielen verschiedene geistige Waffen eine herausragende Rolle: Gräuelpropaganda, Verschwörungstheorien und Endzeitrhetorik.
1) Die Gräuelpropaganda – oder der Aufruf zum Kreuzzug der Guten gegen die Bösen
Die Gräuelpropaganda basiert darauf, dass sich Menschen normalerweise gegen die mobilisieren lassen, die Gräueltaten begehen. Also unterstellen die kriegsinteressierten politischen Kräfte den „Feinden”, gegen die es losgehen soll, möglichst viele oder schlimme Schandtaten, Verbrechen, Grausamkeiten begangen zu haben und weiterhin zu begehen. Sie werden als Mörder und Mordbrenner, Henker und Folterer, als gewissenlos, grausam, verschlagen, unmenschlich hingestellt. Die Gräuelpropaganda versucht gewissermaßen mit einem Appell an Moral und Menschlichkeit, Menschen kriegsbereit zu machen: „Diese Teufel, treten die Menschenrechte mit Füßen und vergehen sich an Unschuldigen, Kindern und Frauen. Als anständige Christen, Humanisten, Demokraten ist es unsere ethische Pflicht, ihnen das Handwerk zu legen”. Gräuelpropaganda allein ist aber wohl kaum in der Lage, ein hinreichend große Kriegsbereitschaft in einer Bevölkerung zu erzielen, ist aber sehr hilfreich, besonders um auch den Widerstand der idealistischsten Pazifisten zu brechen. Die Gräuelpropaganda funktioniert natürlich dann besonders gut, wenn sie auf tatsächlich begangenen und nachweisbaren Gräueltaten aufbauen kann. Die Lüge, die auf der Wahrheit aufbaut, ist kurzfristig betrachtet immer besonders erfolgreich. Der langfristige Preis dieses Erfolgsrezepts: Die Wahrheit selbst verliert an Glaubwürdigkeit (s.u.). „Die lügen doch alle!”, sagt der kleine Mann und fühlt sich nicht besonders motiviert, nach der Wahrheit zu forschen, noch, es selbst mit ihr genau zu nehmen.
Der Gräuelpropaganda und Verteuflung der „Feinde” steht eine Selbst-Glorifizierung kontrastierend gegenüber. Ganz gleich aus welcher historischen Epoche und Kultur man einschlägige Kriegspropaganda liest, man wird es kaum fassen, was die jeweils eigenen Kämpfer für prächtige Burschen sind: edel, kühn, furchtlos, großherzig, unbeugsam, aufrecht, mit offenem Visier kämpfend, mit einem Wort: Helden, die durch nichts und niemand in die Knie zu zwingen sind. „Wir sind unbesiegbar und Niederlagen stählen uns nur!”, ruft Lenin während des Bürgerkrieges seinen „Kampfgenossen” und den Soldaten der Roten Armee zu.
Ist die pathetische Sprache heute auch etwas aus der Mode gekommen, zum „Ledernacken”, der gegen „Schlitzaugen” kämpft, reicht es immer noch. Das Grundmuster ist geblieben, es sind „unsere Jungs”, die einen „guten Job machen”, wenn sie möglichst viele „Feinde der freien Welt” erledigen. An der klaren Zweiteilung der Welt darf nicht gerüttelt werden. „Es gibt nun mal gut und böse, und dazwischen ist kein Platz für Kompromisse” (Bush junior in seiner Abschiedsrede am 15.1.2009).
Während in der Mobilisierungs- und Durchhaltepropaganda der Gegner immer herabsetzt wird, kann es in der literarischen Aufarbeitung, die mit einem gewissen zeitlichen Abstand zu den kriegerischen Ereignissen erfolgt, durchaus zum genauen Gegenteil kommen. Besonders die Sieger neigen dann dazu, um ihre Heldentaten umso heller glänzen zu lassen, auch die Feinde als tapfere Kämpfer darzustellen. Ein klassisches Beispiel dafür liefern die griechischen Sagen um den trojanischen Krieg. Nicht nur Achill, Ajax und Co., sondern auch Hector und seine Trojaner sind strahlende, Bewunderung gebietende prachtvolle Helden.
Die geistige „Nachbereitung” von Kriegen, die das Töten als Heldentaten und das Sterben als Opfergang für Volk und Vaterland stilisiert, dient vor allem der Beschwichtigung der trauernden Hinterbliebenen und bereitet den Boden für zukünftige geistige Mobilmachung. Ohne entsprechende Nachbereitung von Kriegen wäre diese so gut wie unmöglich. Die Nachbereitung zeichnet sich durch eine verharmlosende, euphemistische Sprache aus, die im schönen Algemeinen bleibt und das konkrete Elend ausblendet. Da verröchelt man nicht von Granatsplittern zerfetzt im Schlamm oder im Stacheldraht hängend, sondern „fällt” auf dem „Feld der Ehre”.
Ein leider besonders effektives Verfahren, nach einem Krieg zu einem neuen Krieg zu mobilisieren, ist der Ruf nach Vergeltung, nach Rache. Nach dem für Frankreich verlorenen Krieg von 1870/71 mussten die Schulkinder jeden Morgen vor dem Unterricht im Chor aufsagen: „Nicht davon sprechen, immer daran denken: Revanche”.
Die Herabsetzung des Gegners spielt nicht nur im Blick auf „klassische” kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Nationen und Blöcken eine Rolle, sondern in abgewandelter, meist etwas entschärfter Form auch in den „kalten Kriegen” zwischen politischen Richtungen, Gruppierungen, Parteien. Jede Partei versucht ihre „Basis” und Sympathisanten zu mobilisieren und gegen die Konkurrenten aufzubringen, und dazu scheint oft jedes Mittel der Verunglimpfung recht.
Man kennt das, und diese Dinge sind so gewöhnlich und banal, dass es sich kaum lohnt, darüber viele Worte zu verlieren. Viel interessanter sind die Lang- und Nebenwirkungen die mit der geistigen „Mobilmachung” verbunden sind. Besonders die Gräuelpropaganda geht oft nach hinten los und nutzt denen, denen sie schaden soll, mehr als sie ihnen schadet.
„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er gleich die Wahrheit spricht”. Eine als Lüge überführte Lüge kann viele Wahrheiten für lange Zeit „ausschalten”. Wer anständigen Leuten Schandtaten nachsagt, handelt unmoralisch. Wer aber Schandtätern zusätzliche Schandtaten andichtet, die sie gar nicht begangen haben, handelt zudem dumm. Leider kommt diese Dummheit nicht selten vor. Sie eröffnet den Schandtätern die willkommene Chance, berechtigte Kritik unwirksam zu machen, indem sie sich als Opfer von Gräuelpropaganda und Schmutzkampagnen hinstellen. So haben jahre-, ja jahrzehntelang westliche Linke die zahllosen offenkundigen, eigentlich nicht übersehbaren Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen, die den „Aufbau des Kommunismus” von Anfang an begleitet haben, nicht wahrhaben wollen und als „Gräuelpropaganda” der „Reaktionäre”, der „Kapitalisten”, des „Klassenfeindes” usw. abgetan. Die größten Förderer dieses traurigen Mechanismus waren diejenigen, die Lügen über das sowjetische System verbreitet haben. Was kann fanatischen Rechthabern, repressiven Machthabern, ideologischen Unterdrückern der Wahrheit willkommener sein, als wenn Lügen über sie erzählt werden? Mit einer Lüge, die sie als solche überführen konnten, können sie hundert Wahrheiten glaubhaft als Lügen abtun. Kaum jemand hat, um ein ganz anderes Beispiel zu nennen, der rechten Szene in Deutschland einen so großen Gefallen getan wie jene Rollstuhlfahrerin, die behauptet hat, Neonazis hätten ihr ein Hakenkreuz ins Gesicht geritzt, und jene Journalisten, die diese Geschichte, die sich schnell als erfunden entpuppte, ungeprüft verbreiteten.
Die allerschändlichste geistige Tat begehen jene, die zu Propagandazwecken Foltergeschichten erfinden und damit den politischen Kampf gegen die grauenvollste Realität in der Welt verwirren und lähmen. Diejenigen, die Gräuelpropaganda als politische Waffe einsetzen, folgen einem kurzsichtigen Mobilisierungskalkül. Sie agieren dabei höchst irrational, weil sie vergessen, wie dankbar und erleichtert die Menschen normalerweise die Zweifel daran aufgreifen, dass die Gräuel tatsächlich begangen worden sind. Welcher Mensch mit auch nur einem Fünkchen Empathie wäre nicht glücklich, wenn sich all die Berichte über die grauenvollen Menschenrechtsverletzungen als Lügen und Erfindungen politischer Gegner erweisen würden! Dass tatsächlich gelogen und erfunden wird, verstärkt die Versuchung des normalen Bürgers, dem politischen Handeln auszuweichen und sich gewissermaßen kognitiv aus der Affäre zu ziehen und sich damit zu beruhigen, dass das alles zumindest doch sehr übertrieben würde. Zur Zeit erleben wir, wie die mächtigen Staaten der Welt den entsetzlichen Gräueltaten, Massakern, Giftgaseinsätzen des Bürgerkriegs in Syrien ratlos gegenüberstehen und trotz ihrer Geheimdienste nicht sicher wissen oder vorgeben, nicht zu wissen, was von wem tatsächlich begangen oder was den Kontrahenten von wem auch immer zu Propagandazwecken nur zugeschrieben wurde. Nicht nur die direkt an den Kämpfen beteiligten Akteure, sondern auch die Staaten im näheren und weiteren Umfeld sind aufgrund eigener Interessen in das Verwirr- und Lügenspiel verstrickt. Am Ende traut keiner mehr irgendeiner Information, womit die Basis für eine verantwortungsvolle Politik zerstört ist. Führende Politiker der großen demokratischen Staaten der westlichen Welt erklären im Gestus tiefer humanitärer Gesinnung und Verantwortlichkeit, dass sie über unwiderlegbare Beweise verfügten, dass der syrische Machthaber Giftgas gegen sein eigenes Volk eingesetzt habe, und dass damit die „rote Linie” überschritten und ein militärische Strafaktion unvermeidbar sei. Syrienexperten halten dagegen, dass eine solche Torheit von Assad völlig unwahrscheinlich sei und dass eine Provokation seiner Gegner viel wahrscheinlicher wäre, die ihm diese Untat in die Schuhe schieben wollten. Wenn Amerika aber unwiderlegbare Beweise dafür hat, dass es nicht so war, dann gibt es eigentlich nur einen Schluss: Assad hat ein Interesse am militärischen Eingreifen der USA. Dann aber stellt sich die Frage, warum die USA etwas tun wollen, was den Interessen Assads dient. Nach jeder Nachrichtensendung schwirrt einem der Kopf, wenn man begreifen will, was da eigentlich gespielt wird.
Da war die Situation seinerzeit, als die Welt durch das sozialistische Projekt verbessert werden sollte, vergleichsweise sehr übersichtlich. Die Menschen, die angesichts imperialistischer Kriege, Unterdrückung und schamloser Ausbeutung mit dem sowjetischen Experiment , eine neue, gerechtere Gesellschaftsordnung aufzubauen, sympathisierten und denen der Erfolg dieses Versuchs so sehr am Herzen lag, waren nur allzu geneigt, als „Gräuelpropaganda” abzutun, was ihrem Hoffnungsbild so krass widersprach.
Niemand dient so sehr dem Unrecht in der Welt wie derjenige, der das Unrecht bekämpft und dabei Unrecht tut, der Freiheitskämpfer, der sich an Unschuldigen und Unbeteiligten vergreift, der Revolutionär, der einen Unterdrückerstaat durch Terror zu destabilisieren versucht, der Kämpfer für eine gerechtere Welt, der die Wahrheit für seinen Kampf instrumentalisiert.
Was dabei herauskommt, ist oft das Gegenteil von dem, was sich die Propagandisten erhoffen. Wolf Biermann singt in einem Lied über jenen unsäglichen v.Schnitzler vom „Schwarzen Kanal” des DDR-Fernsehens: „Und wenn du sagst, die Erde ist rund, dann weiß jedes Kind, die Erde ist viereckig”. Ich selbst habe negative Aussagen über Amerika, mit denen ich in der DDR überschüttet wurde, erst zu glauben begonnen, als ich im Westen lebte. Im Osten hatte ich sie samt und sonders für Propagandalügen gehalten.
2) Die Verschwörungstheorie – oder der Aufruf, dem großen Angriff zuvorzukommen
Die Gräuelpropaganda wird durch eine zweite Methode unterstützt und überboten: die Verschwörungstheorie. Sie versucht zu mobilisieren, indem sie eine überdimensionale Gefahr beschwört und Angst schürt: „Diese Teufel bereiten den großen Überfall auf unser Land vor, die geheimen Pläne dazu liegen bereits fix und fertig in ihren Tresoren, und in gut versteckten und getarnten Arsenalen lagern die furchtbarsten Vernichtungswaffen. Wenn wir jetzt nicht gegen diese Leute zu den Waffen greifen und ihrem Angriff zuvorkommen, haben wir uns unser schlimmes Schicksal selbst zu zuschreiben!”.
Besonders deutlich war diese Methodik bei der Vorbereitung des Golfkrieges durch die Bush-Administration zu erkennen. Im sog „Kalten Krieg” der OST-WEST-Konfrontation wurde sie in spiegelbildlicher Weise von beiden Seiten angewandt. Als Jugendlicher in der DDR wurde ich jahrelang damit traktiert, welch bösartige aggressive Absichten der amerikanischen Imperialismus und seine Helfershelfer hätten, und dass es, verdammt noch mal, meine Pflicht und Schuldigkeit wäre, meine ganze Kraft zur Abwehr dieser großen Gefahr einzusetzen. Glücklicherweise blieb in diesem Fall der Krieg kalt.
Dass das Kriegführen immer auch ein gewaltiges ideologisches Rechtfertigungssystem zur Voraussetzung hat, ist hier nicht eigens thematisiert worden. Zu diesem gehört, dass das eigene Land, das eigene gesellschaftliche System, die eigene Lebensart als außergewöhnlich verteidigungswert hingestellt wird. Im Land der GULAGS und massenhaften willkürlichen Verhaftungen, in dem kaum eine Familie keine Opfer zu beklagen hatte, ließ Stalin „sein” Volk singen: „Vaterland, kein Feind soll dich gefährden, teures Land, das unsre Liebe trägt, denn es gibt kein andres Land auf Erden, wo das Herz so frei den Menschen schlägt”. Über eine so krasse Verlogenheit kann man nur fassungslos sein, und es ist anzunehmen, dass viele von denen, die es singen mussten, die Faust in der Tasche geballt haben.
Aber wie ist es in der „freien” westlichen Welt? Auch hier mobilisiert man die Verteidigungsbereitschaft der Bevölkerung, indem man den „Kriegsgott” in gefällige, beeindruckende Gewänder hüllt: „Verteidigung der Freiheit”, „Kampf gegen den Kommunismus” gestern, „Kampf gegen den Terrorismus” heute. Ob hier, wo doch im Prinzip alle Informationen frei zugänglich sind und offen über alles diskutiert werden darf, so viele Menschen sich in ihrem Kopf ein eigenständiges Urteil über die herrschende Ideologie bewahren wie in den Gesellschaften, wo abweichende Informationen und offene Diskussionen unterdrückt werden, wage ich zu bezweifeln.
Indes, die reine Verteidigung bedarf zu ihrer Rechtfertigung eigentlich keines großen ideologischen Aufwandes. Niemand mag es, überfallen, ausgeplündert, unterjocht zu werden. Ich muss kein großer Nationalist sein, um mich auch dagegen zu wehren, dass sich eine andere Nation Teile meines Heimatlandes einverleibt. Umso verwunderlicher ist es, dass die herrschenden Kräfte es für nötig erachten, die besondere Verteidigungswürdigkeit des eigenen Landes herauszustellen. Dabei geht es vor allem um die Rechtfertigung der gewaltigen Rüstungsanstrengungen. Man will im Ernstfall gewappnet sein, sagt aber dem Volk und das heißt der großen Mehrheit, die den Krieg hasst und allen Grund hat, ihn zu fürchten, die Rüstung solle bewirken, dass der Ernstfall nicht eintritt. Rüstung wäre Friedenspolitik gemäß der alten römischen Devise: „Wenn du den Frieden willst, rüste zum Krieg”. Leider ist das Volk allzu oft auf diesen Trick hereingefallen.
Und leider hat sich das Volk auch dann nicht als besonders friedliebend, kritisch und widerständig erwiesen, wo es in den Projekten der Regierungen und herrschenden Kräfte gar nicht mehr um Verteidigung ging, sondern offen Anspruch erhoben wurde. So regte sich kaum größerer Widerspruch in der Bevölkerung des kaiserlichen Deutschland, als dieses einen „Platz an der Sonne” für sich beanspruchte und eine aggressive Kolonialpolitik begann. Dass sich gegen den Anspruch auf neuen „Lebensraum im Osten” im nazistischen Deutschland kein Widerspruch erhob, mag angesichts der staatlichen Repressionen verzeihlich sein. Weniger verzeihlich ist, mit welcher Selbstverständlichkeit heute der Anspruch der reichen und großen Länder, allen voran der USA (aber zunehmend auch Chinas), auf das Öl und andere begrenzte natürliche Ressourcen der halben Welt hingenommen wird. Dieser Anspruch resultiert aus der herrschenden ökonomischen Ideologie, deren zentrales Element Wirtschaftswachstum ist. Diese Ideologie ist heute wohl der massivste kriegsverursachende Faktor. Sie bedeutet Hunger nach Energie und Rohstoffen, Hunger nach Absatzmärkten, Hunger nach Umsatz, und dieser Hunger schafft immer großräumigere Märkte, die die Welt destabilisieren Da sind wir an dem Punkt, warum immer wieder Kriegsgefahren entstehen. In dieser kurzen Abhandlung hier geht es nur darum, wie man zum Kriegführen mobilisiert.
3) Die Endzeitrhetorik – oder der Aufruf zum „letzten Gefecht”
Belohnungsversprechen, Hetze und Angstmache gehören zu den gewöhnlichen Werkzeugen, mit denen das Individuum kriegsbereit gemacht wird. Um ein Kollektiv, eine Gesellschaft, eine Nation in den Zustand der Kriegsbereitschaft zu versetzen, bedarf es zudem eines ideologischen Überlegenheitswahns, der ein kollektives Bewusstsein erzeugt und es dem Individuum ermöglicht, sich als Teil einer großen Mission zu begreifen, die es zu erfüllen gilt. Es kämpft sich besser und stirbt sich leichter, wenn man es im Bewusstsein tut, zu einem rassistisch höherwertigen oder erwählten Volk zu gehören oder an der Erfüllung einer großen historischen Mission, z.B. an der „Befreiung der Arbeiterklasse” oder der „Verbreitung der Demokratie” in der Welt mitzuwirken.
Ideologien neigen zur Absolutsetzung Wird die eigene Position zur unverrückbaren absoluten Wahrheit und ihre Behauptung zum absoluten Wert erhoben, hören das abwägende „ mehr oder weniger”, die Vielfalt und der Kompromiss auf und es herrscht das unerbittliche ideologische “Entweder-oder”. „Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns” drohte Bush nach dem 11.September der ganzen Welt. „Wer nicht Teil der Lösung ist, der ist Teil des Problems”, war aus dem Mund von 68ern zu hören, die den amerikanischen Imperialismus für das eine eigentliche Weltproblem hielten.
Das unerbittliche „Entweder-oder” manifestiert sich am deutlichsten in einem Kampf, dessen Ausgang nicht mehr korrigierbar ist, weil er der „letzte” ist und für den deshalb alles, wirklich alles aufgeboten werden muss. Entweder siegen wir oder wir gehen für immer unter. Solche Endzeit- und Weltuntergangsvorstellungen können ungeachtet ihrer Abwegigkeit seltsame Macht über Menschen gewinnen. In der Offenbarung des Johannes 16,16 ist die Rede von einer großen Entscheidungsschlacht am Berg Hamargedon vor dem Weltende Diese seltsame Vorstellung., die sich nur an dieser einen einzigen Stelle in der Bibel findet, spielt in den offiziellen christlichen Kirchen in Europa keine nennenswerte Rolle, allerdings in diversen Sekten sowie in evangelikalen fundamentalistischen Strömungen in Amerika. So wurde dort diese Vorstellung vom Endkampf in den 80er Jahren bemüht, um den Kampf der freien Welt gegen die Sowjetunion bzw. den Weltkommunismus zu mythologischer Größe „aufzublasen”. Dieser Kampf sollte als so bedeutungsvoll und endgültig erscheinen, dass für ihn kein Opfer zu groß sein kann. Gegenwärtig gibt es in Amerika christlich-fundamentalistische Kräfte, die den Islam als den großen Feind ausmachen, den es in einer Entscheidungsschlacht zu besiegen gilt. Diese Form der Mobilisierung geht über Gräuelpropaganda und Verschwörungstheorie, die den Feind als moralisch minderwertig und gefährlich erscheinen lassen, noch hinaus. Hier wird der Feind offen dämonisiert. Für die radikalen Islamisten ist Amerika der „Große Satan”. Das Schlimme ist: wenn in Amerika vom „Endkampf” zwischen Christentum und Islam gefaselt wird, selbst wenn keine sonderlich einflussreichen Kräfte dahinter stehen, muss dies für die islamistischen Kräfte, die dem gleichen mythologischen Weltbild anhängen, als Bestätigung dafür empfunden werden, dass sie sich für den Endkampf rüsten müssen, wollen sie nicht die Verlierer sein. Die „mythologische Aufheizung” ist besonders schwer rational zu kontrollieren und durch Vernunft zu mäßigen. Wenn ein Narr in Amerika einen Koran verbrennt oder auch nur die Verbrennung ankündigt und daraufhin Amerikaner in einem islamischen Land umgebracht werden, wird es schnell zwei Narren in Amerika geben.
Interessanterweise bekommt die Vorstellung vom Endzeitkampf in den säkularen „Heilsgeschichten”, vor allem im Marxismus eine viel größere Bedeutung als in der religiösen Heilsgeschichte, von der sie sich ableiten. Die „Internationale”, die Hymne der marxistischen Bewegung, beginnt mit den Worten: „Völker, hört die Signale: Auf zum letzten Gefecht!” und das bekannteste Arbeiterkampflied „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit” endet mit den Worten: „Heilig die letzte Schlacht!”. Eigentlich ist diese Affinität der säkularen Eschatogie zur Endzeit-Schlacht nicht verwunderlich. Denn das Ende der Geschichte ist hier nicht das Werk Gottes und das Paradies nicht etwas, was man im Jenseits erwartet, sondern das Ende der Geschichte setzt der Mensch selbst in Szene, so oder so. Das „goldene Zeitalter”, das „Paradies auf Erden” muss vom Menschen erkämpft werden, oder es ist nicht.
Wenn vom Krieg gesungen wird; der den Krieg ein für allemal aus der Welt verbannt, dann geht davon eine seltsame Faszination aus. Gerade der ethische Idealist verspürt einen Schauer den Rücken hinunterlaufen, und sein Verstand setzt aus. Er, der den Krieg über alle Maßen hasst und verabscheut, fühlt sich zur Beteiligung am „Krieg gegen den Krieg” herausgefordert. Der Verstand hält dagegen: Wer keinen Krieg will. darf sich an keinem Krieg beteiligen. Wer die Gewalt verabscheut, darf keine Gewalt anwenden. So einfach ist das. Jeder Krieg, egal unter welchem hehren Banner er geführt wird, ist ein Krieg gegen Menschen und bringt unsagbares Leid, neuen Hass und bedeutet Traumatisierungen, die es vielen für ihr ganzes Leben unmöglich machen, zu glücklichen, freien und engagierten Menschen zu werden. Der russische Bürgerkrieg hat 7 Millionen Kinder zu Waisen gemacht. Dieses Heer der Unglücklichen bildete das Reservoir, aus denen Stalin die willfährigen Schergen für seinen riesigen Überwachungs- und Repressionsapparat heranzüchten konnte, eiskalte Geheimdienstler und Folterknechte für NKWD und GPU. Das war sicher nicht die neue Welt, für die die „Weltrevolutionäre” in den Kampf zogen und starben. Und was für beeindruckende Demokratien haben doch Bush und seine „Koalition der Willigen” durch ihren Einmarsch im Irak und in Afghanistan geschaffen!