Wortkeulen, Schmäh- und Schimpfwörter
21. November 2012 von Friedrich Müller-Reißmann
Friedrich Müller-Reißmann friedrich.mr@gmx.de (Sept.2012)
Wortkeulen, Schimpf- und Schmähwörter
„Worte sind Taten und Taten sind Worte” (Augustin).
Wörter haben eine Wirkung. Mit bestimmten typischen Wörtern, Schimpf- und Schmähwörtern, werden Menschen aggressiv gemacht, gereizt, verletzt, gedemütigt, demotiviert, abgewiesen. Im politischen Kontext werden bestimmte Wörter zu Wortkeulen, die den Kontrahenten zum Schweigen bringen (sollen). Und wenn das auch nicht immer gelingt, so bewirken sie doch meistens eine Brandmarkung des Kontrahenten, so dass er weniger Gehör findet. Leider werden Wortkeulen nur selten zum Bumerang.
Welche Schimpf – und Schmähwörter in Mode sind, sagt viel über die gesellschaftliche Situation aus, Wenn sich eine Gesellschaft wandelt, zeigt sich das auch an den Veränderungen bei den verbalen Herabsetzungen von Menschen.
Werfen wir zunächst einen Blick auf typische Schimpf- und Schmähwörter, die der immerwährende „Kampf der Geschlechter” hervorgebracht hat, oft in Form von Tiervergleichen. Frauen werden herabgesetzt als „alberne Ziege”, „eingebildete Gans”, „dummes Huhn”, „blöde Kuh”, „graue Maus”, „falsche Schlange”, „läufige Hündin” usw. Bei den Männern ist es der „Lackaffe”, der „Süßhahn”, der „eitle Gockel”, der „Schlappschwanz”, der verspottet wird; verachtenswerter ist der „Schweineigel”, das „alte Schwein”, das „Dreckschwein”. Manchen dieser Schimpfwörter ist eine gewisse Zeitlosigkeit eigen, andere sind durch Emanzipation und „sexuelle Revolution” aus der Mode gekommen. Seit den 80er Jahren wird es ziemlich populär, Männer gemäßigt abfällig in „Softis” und „Machos” einzuteilen. Für Frauen gibt es m.W. keine vergleichbare Zweiteilung. Tiervergleiche, um jemand als dumm zu kennzeichnen – „ Ochse”, „Esel”; „Kamel” usw. – sind im Zeitalter der Motorisierung eher ungebräuchlich geworden. Zeitlos hingegen scheint das Arsenal an Bezeichnungen zu sein für die, die zu allen Zeiten verhasst sind: die, die anderen in den Rücken fallen und sich auf Kosten anderer Vorteile verschaffen, die „Drecksäcke”, die „krummen Hunde”, die „Aasgeier” usw.. die „Arschlöcher” in allen Varianten. Was letztere betrifft, so steht oft nicht die gezielte Herabsetzung bestimmter Typen im Vordergrund, sondern der Selbstzweck des Vergnügens an fäkal-sexistischen Obszönitäten bzw. die eigene Aufwertung in der Gruppe durch ihren Gebrauch. Was allgemein für den Sprachgebrauch gilt, nämlich dass er ein entscheidendes Erkennungszeichen und Zugehörigkeitsmerkmal für Gruppen und Subkulturen ist, gilt in besonderem Maße für die herabsetzenden Wörter. Wer dazugehören will, muss sie gebrauchen. Das ist nicht nur in Gruppen der sog. „Jugendkultur” der Fall, sondern abgeschwächt auch in ganz seriösen und offiziellen gesellschaftlichen Gruppierungen und Bewegungen.
Die Hierarchie bringt ihre typischen Schmähwörter hervor: oben den „Blutsauger” und den „scharfen Hund”, unten den „Duckmäuser”, auf halber Höhe den „Radfahrer”, den „Speichellecker”, „Schleimer” und „Opportunisten”.
Im Kontext von Gefahr und Herausforderung, von Angriff und Verteidigung, klassischerweise beim Militär, aber nicht nur da, gilt besonders der „Feigling”, der „Waschlappen”, der „Drückeberger” als verachtenswert, mehr noch der „Verräter”. (Gegenpol ist der „Held”, besonders der dekorierte: der „Held der Sowjetunion”, der „Ritterkreuzträger”).
In diffuser Nachwirkung des vulgären Sozialdarwinismus der NS-Zeit war noch lange danach „Schwächling” ein beliebtes Schimpfwort. Die nazistische Propaganda hat von Anfang an und dann besonders im Krieg ihre charakteristischen Verunglimpfungen hervorgebracht. Liberale und demokratisch gesinnte Journalisten waren „Schreiberlinge”, dekadente „Schmier- und Schmutzfinken”, „vaterlandslose Gesellen” usw. Im „Land der Dichter und Denker” war allein schon die Bezeichnung „ Intellektueller”, auch ganz ohne herabsetzende Adjektive, zu einem Schimpfwort geworden.
Die nazistische Kriegspropaganda liefert besonders abstoßende Beispiele für menschenverachtende Herabsetzung von Menschen. Die Soldaten der Roten Armee waren „bolschewistische Horden” und „Untermenschen”. Für die Armeen der Westmächte beließ man es zumeist bei der Bezeichnung „der Feind”. Für die eigenen Leute, die die geringste Skepsis am „Endsieg” äußerten, hatte man Ausdrücke wie „Defätist”, „Vaterlandsverräter”, „Wehrkraftzersetzer” parat.
Typisch für die totalitäre Ideologie ist die „ Versachlichung” der Menschen, die sich in der einen oder anderen Form dem System widersetzen; sie werden als „Elemente” bezeichnet, sind „Unrat”, „Abfall”, „Bodensatz”, „Abschaum” usw. Aber auch das Tierreich hat einiges zu bieten; Menschen werden zu „Ungeziefer”, „Wanzen” und „Ratten” erklärt. Sind Menschen erst einmal geistig und moralisch zum Nichts gemacht, fällt ihre physische Vernichtung leichter.
Bei den Herabsetzungen im Bereich der Ökonomie, im Kontext von Arbeit, Haushaltung, Lebensfristung ist ein Wandel deutlich erkennbar. In der früheren, von Knappheit und Mangel gekennzeichneten „Überlebensgesellschaft” sind es einerseits diejenigen, die zu wenig bringen, die Faulen und Trägen, Ungeschickten und Langsamen, die Nichtangepassten und Unkooperativen, die herabgesetzt werden: der „Nichtsnutz”, „Tagedieb”, „Faulpelz”, „Langschläfer”, “Hans-Guck- in-die-Luft”, die „lahme Ente”, der „Quertreiber” und „Eigenbrötler”, andererseits diejenigen, die zu viel für sich in Anspruch nehmen: der „Vielfraß”, der „Fresssack” der „Schnorrer”. Diese Art von Schimpfwörtern verliert in der sog. „Erlebnisgesellschaft”, die von Überfluss und großer Auswahl, von Genuss und Selbstverwirklichung gekennzeichnet ist, an Relevanz und verschwindet teilweise ganz aus dem Sprachgebrauch. Der Vorwurf z.B., ein „Tagedieb” zu sein, kann hier eigentlich nur Befremden und ein müdes Lächeln auslösen. Kommt es nicht gerade darauf an, sein Leben zu genießen? Und was soll in einem Land, wo etwa die Hälfte aller Lebensmittel weggeworfen wird, an einem „Vielfraß” verwerflich sein?
Aufschlussreich sind die Schmähwörter in religiösen und nichtreligiösen Glaubensgemeinschaften. Da gibt es den von der katholischen (=allgemeinen) Lehre abweichenden “Häretiker”, der später in der Kirche „Ketzer” heißt (nach den kirchenkritischen Katharern des 12. und 13. Jahrhunderts). Er ist, wenn es mehr um die „Wahrheit der reinen Lehre” geht, ein „Abweichler”, ein „Verblendeter”, wenn es mehr um die Geschlossenheit der Glaubensgemeinschaft geht, ein „Abtrünniger”. Anders als der „Abweichler”, der nur falsch denkt, handelt der „Abtrünnige” moralisch verwerflich, verräterisch. Er gilt wesentlich verachtenswerter als der, der nie dazugehört hat: der „Ungläubige” oder „Heide”. Während dieser eher weniger zu befürchten hat von den „Gläubigen”, „Gnade Gott” dem „Abtrünnigen”, der in die Hände seiner ehemaligen „Glaubensbrüder” fällt.
In der „schönen neuen Welt”, die nach der sog. “großen sozialistischen Oktoberrevolution” anbrach, wurden von Anfang an Andersdenkende als „Abweichler” diffamiert. Dieser Vorwurf setzt logischerweise voraus, dass man sich selbst wie die katholische Kirche im Besitz der Wahrheit und auf dem „wahren Weg” glaubt. In der Sowjetunion Stalins wurde der feine Unterschied zwischen „abweichendem” Denken und moralisch minderwertigem und schädlichem Handeln gar nicht erst gemacht. Wer anders zu denken wagte und dies leichtsinnigerweise zu erkennen gab, wurde kurzerhand zum „Schädling” und „Volksfeind” erklärt, den es im Interesse der großen Sache zu liquidieren galt. Die Zahl der Menschen, oft ursprünglich selbst leidenschaftliche Anhänger der „reinen Lehre”, die vor die Erschießungskommandos geführt wurden, ging schnell in die Tausende. Ganze „Nester” von „Abweichlern” wurden ausgeräumt. Die „große Sowjetunion” war, ohne dass man richtig wusste, woher sie alle kommen, von „Schädlingen” durchsetzt, von allen möglichen „Feinden”, „Rechtsopportunisten”, “Linksopportunisten”, „Agenten”, „Spionen”, „Saboteuren” bedroht, noch massenhafter als einst die fromme Christenheit im 16. und 17. Jahrhundert von den „Agenden des Teufels”; den „Hexen” und „Zauberern”. Geradezu undenkbar, dass man in der offenen „pluralistischen Gesellschaft” jemand als „Abweichler” oder „Schädling” brandmarkt. Es würde nur Kopfschütteln auslösen.
In Um- und Aufbruchsphasen entsteht ein Dualismus von Verunglimpfungen zwischen denen, die dem Neuen zustreben und denen die dem Alten verhaftet bleiben. In den 68er Jahren werden von der einen Seite „Establishment”, „Reaktionäre”, „Scheißliberale”, „bürgerliche Spießer”, „Bourgeois” beschimpft; von der anderen Seite richtet sich die Wut gegen die „Systemveränderer” und „Chaoten”.
Die Ökobewegung und aufbrechende kritische Lebensstildiskussion der 70er Jahre bringt ihre eigenen Herabsetzungen hervor. Da gibt es die „Konsumidioten” und „Schickimickis” auf der einen, die „Körnerfresser” und „Müslis” auf der anderen Seite.
In der gegenwärtigen Egoismusgesellschaft mit ihrem Konkurrenzdenken gibt es eigentlich nur ein einziges verbreitetes, universal einsetzbares Wort für den, der verächtlich ist: „Looser”. Das Schlimmste: nicht zu den Erfolgreichen und Durchsetzungsfähigen zu zählen, denn nur die „gehören dazu”.
In der „Gesellschaft ohne Alternativen”, in der wir heute leben, gibt es eine große Bandbreite an Schimpf- und Schmähwörtern, die ganz unterschiedlich, ja diametral erscheinen, aber letztlich etwas Gemeinsames haben: sie dienen der Herabsetzung von Menschen, die auf die eine oder andere Weise nicht aufgehört haben , an Alternativen zum herrschenden Kurs zu glauben. Wer sich nicht der „Macht des Faktischen” unterwirft und an der Unverhandelbarkeit der Moral festhält, zwischen Recht und Unrecht klar unterscheidet und eine andere und bessere Welt für möglich hält, wird als blauäugiger „Gutmensch” lächerlich gemacht. Aber auch, wer nur wagt, unkonventionelle Fragen zu stellen, an Tabus zu rühren, unbequeme Tatsachen nicht schönzureden, seiner Fantasie Raum zu geben, sieht sich schnell im Abseits als “Spinner” oder „Wirrkopf”. Wenn er gar noch eine gewisse Resonanz findet, ist er ein „Demagoge” oder „Populist”. Verständlicherweise werden bei uns die, die aus dem ‚mainstream’ ausscheren, nicht als „Abweichler” bezeichnet. Dazu fehlt dem ‚mainstream’ der bewusst reflektierte Wahrheitsanspruch. Man schwimmt vielmehr gemeinsam in einem Strom von unhinterfragten, kaum theoretisch bewusst reflektierten Allgemeinplätzen der ‚political correctness’, die für selbstverständlich gelten, einer Art „Wahrheit light”. Wer aus dieser „Diätwahrheit” ausbricht, die sich unsere Gesellschaft verordnet hat, kann nicht schon mit dem Wort „Abweichler” hinreichend abgestempelt sein; er muss eigens diffamiert werden. Großer Beliebtheit erfreut sich heute die schnelle Brandmarkung durch den Stempel „fremdenfeindlich” oder „Rassist”. Ist ein Kritiker so abgestempelt, muss man ihn nicht anhören, egal was er zu sagen hat. Es ist viel bequemer, jemand in eine Kiste zu stecken, als mit ihm eine geistige Auseinanderzusetzung zu führen.