Ein anderes Sozialsystem
22. Juni 2009 von Friedrich Müller-Reißmann
Die Art und Weise, wie der Staat finanziert werden soll, ist der eine große gesellschaftliche Streitpunkt, der andere ist, wie das Sozialsystem zu finanzieren ist. Die Diskussionen über das Gesundheitssystem und die Altenpflege, über die Sicherheit der Rente, über die Last der Sozialhilfe reißen nicht ab und setzen Ängste: Werden wir uns in Zukunft überhaupt noch ein solches Maß an sozialer Sicherheit leisten können? Ich denke: Die Frage allein ist ein Hohn auf den großartigen Fortschritt, den wir doch nach herrschender Auffassung unaufhaltsam durchlaufen. Vor 20 Jahren konnten wir sie uns leisten, und jetzt, wo die Produktivität unserer Wirtschaft so viel größer geworden ist und weiter wächst, jetzt muss plötzlich der Mangel beschworen werden?
Ich behaupte: Diese „Mangelerscheinungen” bzw. tatsächlichen oder vermeintlichen Engpässe haben etwas mit der anachronistischen Finanzierung des Sozialsystems zu tun. Eine Finanzierung, die an den Faktor Arbeit gebunden ist und diesen (wie die ebenfalls anachronistische Lohnsteuer; s. „Wir brauchen ein anderes Steuersystem www.mueller-reissmann.de) zusätzlich belastet und mehr und mehr erdrückt. Und die, indem sie so die Arbeitslosigkeit fördert, sich selbst das Wasser abgräbt. Eine andere, nicht mehr an den Faktor Arbeit gebundene Finanzierung des Sozialsystems würde neben der Reform des Steuersystems ein zweites großes Steuerungspotential in Richtung Nachhaltigkeit eröffnen. Sie würde nicht nur der ewigen Flickschusterei am Sozialsystem und den Ängsten ein Ende bereiten, ob unser Sozialsystem auch in Zukunft noch trägt, sondern das Sozialsystem selber würde durch die andere Finanzierung zu einer tragfähigen optimistischen Perspektive für die Zukunft beitragen. Das Sozialsystem kann von einer Last zu einer Chance für die Gesellschaft werden.
Dieser ganze Komplex erfährt heute eine zusätzliche Schärfe durch das viel beschworene „demografische Problem”. Der soziale Frieden sei durch einen drohenden „Krieg zwischen den Generationen” in Gefahr, heißt es. Aber ist das wirklich die unumstößliche Wahrheit, vor der es kein Ausweichen gibt: dass immer weniger Arbeitende mit ihren Beiträgen zur Rentenversicherung die Last einer wachsenden Zahl von Rentnern tragen müssen? Und dass deshalb mehr private Altersvorsorge unabweisbar ist?
Der gesamte Artikel zum Download: ein-anderes-sozialsystem
(Der Artikel bildet eine Einheit mit den Artikeln „Wir brauchen ein anderes Steuersystem” und „Die Mythologie der Neuzeit – ideologisches Hindernis für ein anderes Steuersystem”).