Nicht jammern, mein Lieber, durchstarten!
Eines Tages traf der Dachs seinen Vetter, den Fuchs. Wie unter Männern üblich hielt man sich nicht lange beim Familientratsch auf, sondern kam gleich zur Sache (für Männer gibt es bekanntlich vier Sachen: Frauen, Fußball, Computer und Politik). Der Fuchs hatte (wie wir es von ihm aus der Literatur nicht anders kennen) immer viel auszusetzen an der Regierung. „Was diese Flickschuster mit den Pfoten zusammenscharren, wedeln sie mit dem Schwanz wieder auseinander. Vor allem haben die kein Konzept gegen die Arbeitslosigkeit. Wie soll das enden? Meine drei Söhne hocken alle zu Hause herum”.
„Nicht jammern, mein Lieber, durchstarten! Sieh dir meinen Ältesten an, der war schon im Kindergarten ein Durchstarter. In der Schule nur erste Plätze. Jahrgangsbester beim Abitur. Dann gleich ab nach Amerika. Eliteuniversität. Doktorhut. Der kann sich jetzt nach seiner Rückkehr kaum vor Angeboten retten. Ja, das ist ein junger Dachs, wie man sich ihn nur wünschen kann”.
„Na ja”, meinte Fuchs wenig beeindruckt. „Ich kenne deinen Sprössling. Intelligenzmäßig können es meine Drei mit dem ohne weiteres aufnehmen. Aber mit ihrer Anpassungsfähigkeit hapert es, viel zu eigensinnig, und die fleißigsten sind sie auch nicht. Aber lassen wir das. Sie könnten, wenn sie wirklich wollten. Aber der Sohn des Wolfes: chancenlos – einfach zu dumm. Wenn der in Amerika angekommen wäre, würde er als erstes gleich versuchen, eine Bank auszurauben, und sich dabei schnappen lassen. Und erst recht die Söhne des Hasen: die laufen doch schon, wenn am Himmel nur etwas brummt. Die bringt keiner in ein Flugzeug. Amerika ist für die definitiv keine Perspektive”.
„Euch ist einfach nicht zu helfen”, sagte der Dachs verstimmt und verabschiedete sich.
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Schon 1947 hatte Norbert Wiener, der „Vater der Kybernetik”, gesagt: „Stellt man sich die zweite (industrielle) Revolution als abgeschlossen vor, so wird das durchschnittliche menschliche Wesen mit mittelmäßigen oder noch geringeren Kenntnissen nichts zu ‘verkaufen’ haben, was für irgend jemanden das Geld wert wäre“. Was lernen wir daraus? Besser zu sein als andere ist zwar eine persönliche Problemlösung, wenn die Arbeit knapp wird, aber keine gesellschaftliche. Auch eine bessere Ausbildung aller ist keine Lösung, denn solange die Unternehmen in einem schrankenlosen Wettbewerb nur mit den besten Mitarbeitern die Nase vorn behalten, werden die Durchschnittlichen und gar die Unterdurchschnittlichen keine Chance haben – ganz gleich wie hoch das allgemeine Niveau ist.
Mit neuen Arbeitsplätzen gegen die Arbeitslosigkeit
Nach einiger Zeit trafen sich Fuchs und Dachs mal wieder zufällig beim abendlichen Spaziergang.
„Na, wie geht es dem jungen Dachs, für welchen Traumjob hat es sich entschieden?”.
„Noch besser, viel besser, er hat gleich eine eigene Firma gegründet, er ist jetzt Unternehmer”.
„Gratuliere”.
„Das kannst du”, meinte der Dachs voller Stolz, „der hat jetzt nicht nur selber Arbeit, der schafft auch Arbeit für andere. Auf die Politiker schimpfen und darauf warten, dass die ernsthaft was gegen die Arbeitslosigkeit tun, das bringt überhaupt nichts. ‚Die unternehmerische Initiative ist der Weg zum Abbau der Arbeitslosigkeit’, sagt mein Sohn”.
„Ach ja, und wie sieht sein Unternehmen aus?”
„Ich sage dir, ein tolles Unternehmen, da steckt Power dahinter, lauter gute Leute, neueste Technik – da arbeitet jeder für Drei …”
„Und kriegt Lohn für einen halben!”
„Ja, nun, da führt nun mal kein Weg dran vorbei, du weißt, die internationale Konkurrenz. Globalisierung. Wettbewerbsfähigkeit ist heute ein absolutes Muss, sonst kann er seine Firma gleich wieder zumachen.”
„Ja, ja”, war alles, was der Fuchs darauf erwiderte. Es trat eine längere Pause ein. Schließlich meinte der Fuchs, und es klang wie eine beiläufige Bemerkung: „Und du glaubst ernsthaft, dass dein Sohn mit seiner neuen Firma etwas zum Abbau der Arbeitslosigkeit in Dachsland beiträgt?”
„Ja, selbstverständlich, er hat 100 neue Arbeitsplätze geschaffen und alle mit Arbeitslosen besetzt”, erwiderte der Dachs verwundert über die Frage des Fuchses. „Was hast du schon wieder auszusetzen? 100 neue Arbeitsplätze in Dachsland, die mit Arbeitslosen besetzt werden, reduzieren die Arbeitslosenzahl in Dachsland genau um 100″.
„So, so, von den neuen Leuten schafft jeder wie drei, sagst du. Die 100 neuen Beschäftigen bringen also so viele Waren auf den Markt wie 300 alte. Da sie aber nur halb so viel verdienen wie diese, bringen sie nur eine zusätzliche Kaufkraft wie von 50 Leuten. Da klemmt’s doch jetzt in Dachsland noch mehr. Da wird der Druck auf die alten, weniger arbeitsproduktiven Arbeitsplätze größer. Rein von der Mathematik her müssen 250 alte Arbeitsplätze verschwinden”.
„Das kann doch nicht wahr sein! Die Minister des Löwen sind deiner Meinung nach wohl alle Idioten? Die blasen doch den Konzernen nicht Zuckerwasser in den Hintern, damit sie Arbeitsplätze schaffen, wenn das gar nichts bringen würde für den Abbau der Arbeitslosigkeit!”.
„Denk was du willst über die Politiker. Ich frage mich schon lange, ob die selber das glauben, was sie uns erzählen. Dabei habe ich so gerechnet, als ob die 100 Arbeitslosen zuvor gar keine Kaufkraft hatten. In Wahrheit haben sie aber Hatz Vier (oder wie das jetzt heißt) bezogen, und ihr Lohn auf den neuen Arbeitsplätzen ist nur geringfügig höher. Sie bringen also vielleicht in der Summe nur eine zusätzliche Kaufkraft von 10 oder 20 Leuten ins Spiel. Während sie für 300 schaffen. Da müssten also noch mehr als 250 alte Arbeitsplätze weg”.
„Was müsste denn deiner Meinung nach passieren?”.
„Mein Schwager von der Gewerkschaft würde einfach sagen: ‚Wenn die Leute für drei schaffen, müssen sie auch für drei verdienen’. Dann wäre alles im Gleichgewicht, die Kaufkraft wüchse im Gleichschritt mit der Arbeitsproduktivität. Die Binnennachfrage würde wachsen. Es würde mehr produziert und mehr konsumiert”.
„Aber so geht das ja gerade nicht”, stöhnte der Dachs, „bei so hohen Löhnen wanderten unsere Unternehmen ins Ausland, oder sie würden von der ausländischen Konkurrenz erdrückt”.
„So ist es, lieber Vetter, so geht es nicht und so geht es auch nicht. Der Wurm im System sitzt tiefer. Die Politik wagt sich nicht an den Kern des Problems heran. Der Löwe hofiert den Bullen und Bären und glaubt, die würden’s schon richten. Aber solange die Politik nicht ihre Hausaufgaben macht und endlich vernünftige Rahmenvorgaben setzt, nützt uns keine unternehmerische Initiative. Es wird alles nur immer schlimmer”.
„So geht es nicht und so geht es auch nicht …Wurm im System … immer schlimmer”, echote der Dachs gereizt, „du bist ein ewiger Nörgler und Pessimist!”.
„Wenn dich meine Meinung nicht interessiert, auch gut”, entgegnete der Fuchs kühl.
„Nein, mich interessiert das alles sehr”, wollte der Dachs erwidern, aber er biss sich auf die Zunge. Das hätte gerade noch gefehlt, dass er sich von diesem Besserwisser belehren ließ.
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Und die Moral von der Geschichte: Erwarte nie von der Wirtschaft die Lösung gesellschaftlicher Probleme, sondere fordere sie von der Politik ein!